Aktuell

Die Autoren berichten über Veränderungen betreffend Behandlung und Therapieerfolg bei frischen Hepatitis-C Infektionen in der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie vor und nach 2006. Dabei zeigen sich grosse Veränderungen: Seit 2006 wurde vor allem bei Männern, die Sex mit Männern haben, bereits in der frühen Phase behandelt, und der Erfolg dieser frühen Therapien hat sich dadurch signifikant verbessert. Direkte Folge dieses Vorgehens sind deutlich weniger Patienten mit nachweisbarer Hepatitis-C Viruslast. Das aus der HIV-Therapie bekannte Konzept „Behandlung als Prävention“ könnte also auch bei Hepatitis funktionieren. 

Ein Vorbehalt vorab: Diese Studie berücksichtigt nur Daten bis und mit 2013. Seither haben sich die verfügbaren Therapien für eine Hepatitis-C Infektion nochmals massiv verbessert, und zwar puncto Wirksamkeit, Pillenanzahl und Nebenwirkungen. Auch dauern die neuen Therapien weniger lang. Trotzdem ist die Studie bedeutend, denn sie gibt uns wichtige Informationen für eine mögliche Hepatitis-C Strategie in der Schweiz.

Warum befasst sich die Studie mit der Situation vor und nach 2006? Seit diesem Zeitpunkt beobachtet die Kohortenstudie eine 18-fache Zunahme der Hepatitis-C Infektionen unter Männern, die Sex mit Männern haben (MSM). Weil nur eine Minderheit der Patienten eine Hepatitis-C Infektion von selber ausheilt, und sich die Hepatitis- und HIV-Infektion gegenseitig ungünstig beeinflussen (der Verlauf beider Erkrankungen wird rascher), könnten die betroffenen Patienten von einer frühen Therapie profitieren. Nachhaltige Heilungsraten von 60-80% wurden beobachtet wenn eine HCV-Therapie innert einem Jahr nach der Diagnose eingeleitet wurde[2]. Es gab aber bisher keinen klinischen Versuch, welche den Erfolg einer frühen mit einer verzögerten Therapie bei HIV/HCV ko-infizierten Patienten verglich. Weil die Kohortenstudie seit 1998 alle Patienten mindestens alle zwei Jahre auf HCV testet, sind diese Patienten viel besser diagnostiziert und charakterisiert als andere von HCV Betroffene.

Die Resultate sprechen eine deutliche Sprache: Der Anteil MSM mit einer akuten Hepatitis-C Infektion betrug vor 2006 24%; er stieg nach 2006 auf 85% an. Vor 2006 wurde weniger als ein Viertel der Patienten mit einer frischen Infektion behandelt (22%); nach 2006 aber fast alle (91%). Unter den heute veralteten Therapien mit Interferon und Ribavirin betrug der Behandlungserfolg bei einer frischen Infektion 78%, bei einer späteren Therapie im chronischen Stadium bloss 29%.

Weil die HCV-Therapien heute noch besser wirken und verträglicher sind, gibt uns diese Studie eine ausgezeichnete Grundlage für neue Versuche. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass eine frühe HCV-Therapie noch besser wirkt, kürzer dauert und zudem zur Verhinderung von Neuansteckungen beiträgt. In der Schweiz ist eine HCV-Therapie in den meisten Fällen erst in einem fortgeschrittenen Stadium möglich, seit September 2015 ab Fibrosegrad F2. Die Kohortenstudie startet im April 2016 mit dem „Swiss HCVree Trial“, der fast allen HIV/HCV ko-infizierten MSM, die an der Kohorte teilnehmen, eine Behandlung und damit eine Heilung der HCV-Infektion ermöglicht.

David Haerry / Oktober 2015


[1]Incident hepaitis C virus infections in the Swiss HIV Cohort Study: Changes in treatment uptake and outcomes between 1991 and 2013; G. Wandeler et al, Open Forum Infectious Diseases, DOI: 10.1093/ofid/ofv026

[2]Diese Hypothese ist heute bereits veraltet, die jetzigen Therapien wirken noch besser.

Bei Abbruch der START-Studie im Mai 2015 wurde es angekündigt - jetzt ist es soweit: Die WHO will die sofortige HIV-Therapie für alle Menschen mit HIV und empfiehlt gleichzeitig den Einsatz der Prä-Expositionsprophylaxe für Menschen, die sich anders nicht genügend vor HIV schützen können. Die WHO schätzt, dass dank der neuen Empfehlungen in den nächsten 15 Jahren 21 Millionen Todesfälle und 28 Millionen Neuansteckungen vermieden werden können.  

Am  30. September veröffentlichte die Weltgesundheitsorganisation WHO die bereits angekündigten neuen Therapierichtlinien. Der vorzeitige Abbruch der START-Studie im Mai hatte die bisherigen Empfehlungen, die Therapie spätestens bei 350 CD4-Zellen einzuleiten, ethisch unhaltbar gemacht. Gottfried Hirnschall, Direktor der HIV/AIDS Abteilung bei der WHO meinte denn auch: „Diese neuen Empfehlungen haben enorme Auswirkungen auf das menschliche Leben. Eine globale Zusammenarbeit ist nötig, um alle Länder bei der Einführung und Umsetzung der neuen Empfehlungen zu unterstützen.“

Eigentlich war die Publikation der neuen Richtlinien erst später gegen Jahresende erwartet worden. Die hohen Auswirkungen auf die öffentliche Gesundheit haben die WHO aber veranlasst, die Veröffentlichung zu beschleunigen. Die neuen Richtlinien sagen ganz einfach: „Die antiretrovirale Therapie soll bei Erwachsenen Menschen mit HIV sofort eingeleitet werden.“ Dieselbe Empfehlung gilt auch für Kleinkinder, Kinder, Jugendliche und schwangere Frauen. Die Therapie soll für Menschen mit geschwächtem Immunsystem oder Menschen, die bereits Krankheitszeichen aufweisen, prioritär eingeleitet werden.

Die European AIDS Clinical Society publiziert die neuen europäischen Therapierichtlinien an ihrem Kongress, der diese Woche in Barcelona beginnt. Soviel dürfen wir verraten: Auch die EACS wird sich unmissverständlich für die sofortige Therapie aller Menschen mit HIV aussprechen.

An der IAS Konferenz im Juli 2015 bestätigten sich bereits vorzeitig veröffentlichte Daten aus der afrikanischen HPTN 052-Studie mit heterosexuellen sero-diskordanten Paaren[1]. Das Risiko, in einer Paarbeziehung angesteckt zu werden, reduziert sich dank Therapie auf fast Null, nämlich um 93%. Die einzige dokumentierte Ansteckung erfolgte kurz nach Therapiebeginn, als die Viruslast des Partners mit HIV noch nicht unterdrückt war..

 

PrEP für alle Menschen mit hohem Ansteckungsrisiko

Die neuen WHO-Richtlinien empfehlen auch die Prä-Expositionsprophylaxe: „Orale PrEP (enthaltend tenofovir disoproxil fumarate) sollte als zusätzliche Präventionsmethode für Menschen mit hohem HIV-Ansteckungsrisiko als Bestandteil einer kombinierten Präventionsstrategie empfohlen werden.“

Die WHO äussert sich nicht weiter zu einer spezifischen Therapie. Truvada des Herstellers Gilead (enthält Tenofovir und Emtricitabine) ist das am Besten geprüfte Produkt und das einzige von der amerikanischen Behörde FDA für die PrEP zugelassene Präparat. Generische Versionen von Tenofovir und Emtricitabine sowie der noch älteren Substanz Lamivudine sind in vielen Ländern auf dem Markt. In Europa dürfte der Patentschutz von Truvada 2018 auslaufen.

Die europäischen Zulassungsbehörden EMA sowie die Swissmedic haben sich bisher zu diesem Thema nicht geäussert. Diese können aber eine Zulassung auch nicht einfach einseitig verfügen wie das FDA in den Vereinigten Staaten. In Europa und der Schweiz muss die Herstellerfirma einen Antrag auf Zulassung stellen. Die kürzlich vorzeitig abgebrochenen Studien PROUD und IPERGAY (LINK) machen jetzt aber Druck, dies rasch nachzuholen.

Die WHO hat bereits 2014 empfohlen, dass Männern, die Sex mit Männern haben und die Mühe mit Safer Sex bekunden, eine PrEP empfohlen werden sollte. Die neuen WHO-Empfehlungen dehnen dies nun auf alle Gruppen mit erhöhtem Risiko aus.

Wir hoffen sehr, dass sich auch die Schweiz bald durchringt, die PrEP als eine mögliche und wirksame Präventionsmassnahme zu empfehlen. Wir gehen davon aus, dass sich auch die EACS diese Woche zum Thema äussern wird – PrEP ist auf jeden Fall eines der ganz heissen Themen in Barcelona.

David Haerry / Oktober 2015


[1] Sero-diskordant: Ein Partner ist HIV-positiv, der andere HIV-negativ

Mit Sovaldi erhält nun ein nächstes Hepatitis-C-Medikament die Vergütung schon ab einer mittelschweren Lebervernarbung, sprich dem Fibrosestadium 2. Letzte Woche wurde bekannt, dass Harvoni die Ausweitung per 1. September erhält. Für beide Medikamente hat der Hersteller die Preise um fast 25 Prozent gesenkt: Eine Monatspackung Sovaldi kostet neu 16‘102.50, der Preis für Harvoni liegt neu bei 16‘748.30.

Damit hat sich einiges bewegt. Viele Patienten auf der Wartebank dürfen aufatmen. Doch am Ziel sind wir nicht.

Nach wie vor können die Behandlungsrichtlinien der europäischen Fachgesellschaften EASL und EACS nicht umgesetzt werden. Trotz Fortschritt ist damit die HCV-Therapie in der Schweiz suboptimal. Zudem wünschen wir uns eine umfassende HCV-Strategie für die Schweiz. Angesichts der grossen Zahl von Betroffenen und nicht einmal diagnostizierten Patienten sowie der nach wie vor kostspieligen Therapie eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

HIV-Infizierte sollen ihre Therapie gleich nach der Diagnose beginnen. Das Hin und Her um den richtigen Zeitpunkt des Therapiebeginns ist definitiv beantwortet. Gesündere HIV-Patienten und weniger Neuansteckungen werden die Folge sein.  

Seit zwanzig Jahren hat sich die Kombinationstherapie zur dauerhaften Unterdrückung des HI-Virus bewährt. Ebenso alt ist die Diskussion, wann denn die Therapie am besten beginnen sollte. Galt früher mal die Devise „hit hard, hit early“, kam man angesichts der Nebenwirkungen der Medikamente wieder davon ab. Dank massiv verbesserten Therapien war es höchste Zeit für eine gross angelegte, globale Strategiestudie – die Strategic Timing of AntiRetroviral Treatment (START) – Studie.

Seit 2011 wurden 4'685 Patienten aus 35 Ländern inklusive der Schweiz in die Studie eingeschlossen. Teilnehmer mussten bei Studienbeginn HIV-infiziert sein, keine Therapie haben und ein intaktes Immunsystem mit über 500 CD4-Helferzellen aufweisen. Nach Zufallsprinzip wurden die Patienten in zwei Gruppen eingeteilt. Die Hälfte wurde sofort behandelt, bei der zweiten Gruppe wurde gewartet, bis sie entweder Aids-definierende Symptome hatten oder die CD4 unter 350 fielen. Im Mai 2015 brach das Datensicherheitskomitee die Studie vorzeitig ab: Die Vorteile der unmittelbaren Therapieaufnahme waren derart eindeutig, dass es ethisch nicht länger verantwortbar war, die Studie weiterzuführen – allen Teilnehmern wurde sofort eine Therapie angeboten. 

Die Resultate sprechen für sich: 14 schwerwiegende Ereignisse[1] in der Gruppe mit sofortigem Therapiebeginn, 50 in der zweiten Gruppe mit der verzögerten Therapie. Der Unterschied zwischen den beiden Gruppen zeigte sich bereits nach zwei Jahren und vergrösserte sich laufend. Bei den schweren nicht Aids-definierenden Ereignissen zählte man 29 Fälle in der Gruppe mit sofortigem Therapiestart, und 47 Fälle im verzögerten Arm. Todesfälle gab es 12 in der Gruppe mit sofortiger Therapie und 21 in der verzögerten Gruppe. Statistisch war der Unterschied unbedeutend – die Todesfälle waren Unfälle, Suizid oder durch Gewalt bedingt.

14 Fälle von Krebs wurden in der Gruppe mit rascher Therapie verzeichnet, 39 in der verzögerten Gruppe, insbesondere Melanome und Lymphome traten sehr viel häufiger auf. Interessanterweise spielte das grosse Thema und der eigentliche Treiber für die Studie - die Nebenwirkungen - keine Rolle, in keiner der beiden Gruppen. Das gab schliesslich den Ausschlag für den vorzeitigen Studienabbruch. Die verzögerte Therapie brachte den Teilnehmern nur Nach- und keine Vorteile. Es gab auch keine Unterschiede im Therapieerfolg bedingt durch Geschlecht, Alter, Rasse oder Wohnland. Die Vorteile der frühen Therapie waren in armen, besser gestellten und reichen Ländern genau dieselben.

Eine ganz wichtige Erkenntnis der Studie ist, dass die Höhe der CD4-Werte alleine nicht alles über den Zustand des Immunsystems sagt. Der Studienleiter Jens Lundgren aus Kopenhagen brachte es auf den Punkt: „Es scheint dass auch Menschen mit HIV und hohen CD4-Werten ein „Loch“ im Immunsystem haben.“ Die antiretrovirale Therapie füllt diese Lücken nicht vollständig, aber zum grössten Teil. Die frühe Therapie bewährt sich also nicht nur als bestes Mittel, um Menschen mit HIV gesund zu erhalten, sie ist  auch eines der wirksamsten Mittel für die Prävention.

Was bedeuten die START-Daten für die Schweiz? Die Schweizer HIV-Behandlungszentren und Schweizer HIV-Patienten haben massgeblich zu dieser wichtigen Studie beigetragen. Allerdings ist die Schweiz eines der wenigen Länder, wo eine sofortige HIV-Therapie bereits bei Diagnose und ohne Erfüllung bestimmter CD4-Kriterien möglich war. Es war dem behandelnden Arzt überlassen, die Therapie gemeinsam mit dem Patienten einzuleiten, sobald der Patient dazu bereit war. Man hat in der Schweiz also seit einiger Zeit eher früh und nur selten spät therapiert – späte Therapien sehen wir vor allem im Zusammenhang mit später Diagnose. Auf den ersten Blick ändert sich in der Schweiz also wenig.

Trotzdem ist die START-Studie auch für die Schweiz von Belang. Es kann jetzt wirklich keiner mehr kommen und behaupten, die frühe Therapie sei gefährlich und möglicherweise nicht effizient. Zum letzten Mal geschehen in einem Editorial der Swiss AIDS News, Ausgabe 1/2013. Den behandelnden Ärzten und den Schweizer HIV-Patienten geben die Resultate die endgültige Gewissheit, dass eine möglichst rasche Therapie sich für alle auszahlt. Natürlich muss weiterhin die Therapiebereitschaft mit den Patienten erarbeitet werden, denn nach wie vor heisst Therapiestart auch „Therapie lebenslänglich“. 

Die WHO hat bereits bei Bekanntgabe der ersten Studiendaten angekündigt, dass sie ihre Therapierichtlinien weltweit anpassen und die sofortige Therapie für alle empfehlen wird. (Link zu Artikel WHO)

 

David Haerry[2] / Oktober 2015


[1] Als schwerwiegende Ereignisse gelten opportunistische Infektionen, Hirntumore, Kaposi- Sarkom und Lymphome. Schwerwiegende, nicht Aids-definierende Ereignisse sind Herz-Kreislauf Erkrankungen, Nieren- und Lebererkrankungen, Leberzirrhose sowie einige Krebsarten.

[2] Der Schreibende war Mitglied des Community Advisory Boards der START-Studie von 2009 bis 2013. Das CAB war in allen Phasen von der Planung bis zur Auswertung der Studie in sämtliche Prozesse involviert. 

International wird an einem Impfstoff geforscht. Am Kantonsspital St. Gallen wurde wenige Tage vor dem Welt-Hepatitis-Tag 2015 ein erster Patient geimpft.

Die Klinik für Infektiologie und Spitalhygiene des Kantonsspitals St. Gallen ist Partner in einem europäischen PEACHI-Konsortium, das eine neuartige Impfstoff-Strategie testet. Im Gegensatz zu herkömmlichen Impfstoffen, welche Antikörperreaktionen hervorrufen, beruht der neue Impfstoff auf einer Abwehrreaktion der weissen Blutkörperchen, unserer Abwehrzellen. Das Virus wird somit nicht durch Antikörper abgefangen, sondern mit dem Hepatitis C Virus infizierte Körperzellen werden von den weissen Blutkörperchen erkannt und zerstört. Die bisherigen Resultate bei über 200 HIV negativen Personen weltweit sind vielversprechend.

Bei Menschen mit HIV verläuft eine Hepatitis-C-Erkrankung meist schwerwiegender. Umso wichtiger ist die Erforschung des Impfschutzes bei HIV-positiven Personen, wie es in St. Gallen nun geschieht. Die Entwicklung einer Impfung ist ein entscheidender Schritt, um solche Personengruppen zu schützen und die Ausbreitung weltweit zu reduzieren.

Beitrag SRF:
http://www.srf.ch/news/schweiz/erste-impfung-am-menschen-gegen-hepatitis-c

Quellen:
Text: Hepatitis Schweiz / News http://www.kssg.ch/news/kssg_sg/2015/07/erste-hepatitis-c-impfung-am-kantonsspital-st-gallen.html