Aktuell

Am 27. Juli - einen Tag vor dem Welt-Hepatitis-Tag – hat das Bundesamt für Gesundheit eine Erweiterung der Kostenübernahme durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung für die Kombination von Viekirax und Exviera sowie von Olysio per 1. August 2015 öffentlich gemacht. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung – doch noch lange profitieren nicht alle Patientinnen und Patienten davon.

Die Vergütungseinschränkung ist somit auf eine mittelschwere Lebervernarbung ausgedehnt worden. Parallel wurde der Preis dieser Kombinationstherapie von 20'651 auf 15'339 Franken pro Monat gesenkt. Damit erhalten nun, gemäss BAG, etwa 900 Personen zusätzlich Zugang zu den heilenden Medikamenten. Positivrat-Vorsitzender Dominik Bachmann bewertet die aktuelle Entwicklung jedoch kritisch: „Die Erweiterung des Patientenkreises ist erfreulich, aber noch nicht genügend. Ich verlange eine Therapie für alle Patienten.“

Die Hersteller der von den Preissenkungen betroffenen Medikamente hatten sich mit dem BAG geeinigt. Das BAG ist somit den Empfehlungen der Fachleute gefolgt.

Doch die Forderungen der Petition von Aktivisten „Behandlung für alle“ sind noch nicht erreicht. So wurde die Limitierung der Arzneimittel des Branchenleaders Gilead nicht erweitert, da sich das Pharmaunternehmen mit dem BAG nicht einig wurde. „Dieser Zustand ist unhaltbar“, kommentiert Dominik Bachmann die Verweigerungshaltung des Unternehmens.

Zudem hapert es auch bei der Zulassung neuer Medikamente durch Swissmedic: Das langwierige Zulassungsverfahren, das oft veraltete Daten berücksichtigt, verhindert die Behandlung von Patienten gemäss internationalen Richtlinien. Auch hier bleibt noch viel zu tun.

Der Preiskrieg von BAG und Gilead darf nicht auf dem Buckel der Patienten ausgetragen werden. Der Positivrat fordert die Akteure auf, eine rasche Lösung zum Wohle der Patienten zu finden. Das Bundesamt für Gesundheit hat eine allfällige nächste Vergütungserweiterung für September angekündigt.

Quellen:
http://www.bag.admin.ch/dokumentation/medieninformationen/01217/index.html?lang=de&msg-id=58174
http://www.nzz.ch/schweiz/mehr-hepatitis-patienten-kriegen-therapie-1.18586382

NZZ, 27.07.15: Mehr Hepatitis-Patienten kriegen Therapie
http://www.nzz.ch/schweiz/mehr-hepatitis-patienten-kriegen-therapie-1.18586382

Tagesanzeiger, 27.07.15: 40 Millionen Franken weniger Kosten
http://www.tagesanzeiger.ch/wirtschaft/40-millionen-franken-weniger-kosten/story/17077064

20 Minuten, 27.07.15: Tattoos und Piercings schuld an Hepatitis-Welle
http://www.20min.ch/wissen/gesundheit/story/Tattoos-und-Piercings-schuld-an-Hepatitis-Welle-11407543

Tagesanzeiger, 27.07.15: Experten warnen vor Hepatitis-Welle wegen Tattoos und Piercings
http://www.tagesanzeiger.ch/wissen/medizin-und-psychologie/Experten-warnen-vor-HepatitisWelle-wegen-Tattoos-und-Piercings/story/17776935

20 Minuten, 28.07.2015: «Ich fürchtete um mein Leben»
http://www.20min.ch/schweiz/news/story/21664546

Le Matin, 27.07.15: Le traitement de l'hépatite C remboursé pour 900 malades
http://www.lematin.ch/suisse/traitement-hepatite-c-rembourse-900-malades/story/26519290

SRF online, 27.07.15: Hepatitis C: Kassen zahlen teure Therapien früher
http://www.srf.ch/news/schweiz/hepatitis-c-kassen-zahlen-teure-therapien-frueher

RTS, 27.07.15: Le remboursement du traitement de l’hépatite C sera élargi
http://www.rts.ch/info/suisse/6967603-environ-900-malades-de-l-hepatite-c-verront-leur-traitement-rembourse-.html

2012 hat die amerikanische Zulassungsbehörde FDA das Therapiemedikament Truvada zur Prä-Expositionsprophylaxe von HIV zugelassen (Pillen davor, statt viele oder gar endlos Pillen danach). Die Erfahrungen der Amerikaner sind gut. Kurz vor der CROI 2015 wurden zwei europäische PrEP-Studien vorzeitig abgebrochen – weil die Intervention so erfolgreich war, dass man den Patienten in den Studienarmen ohne PrEP das Medikament aus ethischen Gründen nicht länger vorenthalten konnte.

Die Post-Expositionsprophylaxe PEP nach ungeschütztem Geschlechtsverkehr ist in Europa und der Schweiz seit vielen Jahren selbstverständlich. Die entsprechenden Richtlinien wurden in der Schweiz 2014 angepasst, die Kosten für einen Monat Therapie werden von der Grundversicherung übernommen.

Die Geschichte der PrEP, der Pille davor, ist lang. Seit mehr als 10 Jahren weiss man, dass sie zumindest funktionieren könnte. Unglaublich aufwendige Studien wurden mit amerikanischen Geldern - öffentlichen und aus privaten Stiftungen (Gates und Ford Foundation) vor allem in Afrika, Lateinamerika und Asien, aber auch in San Francisco durchgeführt. Die Resultate waren unterschiedlich, doch sie zeigten eines deutlich: Wenn die Pille geschluckt wird, wirkt sie auch. Eigentlich eine banale Erkenntnis. Aufgrund dieser Tatsache hat das FDA die Zulassung im Jahr 2012 durchgesetzt (das FDA ist mächtig und kann eine Zulassung verfügen; die europäischen und die Schweizer Behörden müssen warten, bis eine Firma ein Geschäft wittert und die Zulassung beantragt). Trotz dem schlechten Ruf des amerikanischen Gesundheitssystems funktioniert auch die Kostenübernahme offenbar gut – die Krankenversicherungen machen mit, und wo nicht vorhanden springen Hilfsprogramme ein. Interessant ist auch die Tatsache, dass in den USA die PrEP sehr oft bei Heteropaaren mit Kinderwunsch eingesetzt wird. In der Schweiz würde man einfach den HIV-positiven Partner therapieren, und damit basta.

Aus glatter Verzweiflung über die sehr hohen Neuansteckungsraten bei schwulen Männern haben die Engländer und die Franzosen die bereits erwähnten PrEP-Studien durchgeführt. Die Engländer verglichen in der PROUD-Studie sofortige PrEP mit dem um ein Jahr verzögerten PrEP Einsatz bei schwulen Männern mit hohem Risikoverhalten (Patienten, die wegen Geschlechtskrankheiten spezialisierte Kliniken aufsuchten). Trotz häufigem Einsatz von PEP im verzögerten Arm steckten sich derart viele Männer an, dass die Studie vorzeitig abgebrochen wurde und PrEP an alle Studienteilnehmer abgegeben wurde. Es brauchte 13 therapierte Männer, um eine Neuansteckung zu verhindern. Der deutsche Filmemacher Nicholas Feustel hat eben einen ausgezeichneten Dokumentarfilm zur PROUD-Studie publiziert (in englischer Sprache, aber sehr gut verständlich): https://vimeo.com/132412294

Die Studienanlage war bei den Franzosen etwas anders: Die IPERGAY-Studie rekrutierte schwule Männer, welche innert 6 Monaten mehr als zwei Mal ungeschützten Analverkehr hatten, und man verglich den Einsatz von Truvada als PrEP gegen ein Placebo (Tablette ohne Wirkung) und Präventionsberatung. Ungewöhnlich das Therapieschema der Franzosen: statt Truvada jeden Tag wie Ovomaltine gab es Truvada nur bei Bedarf, wenn Sex geplant war, 4 Pillen insgesamt (zwei davor; einen Tag bis zwei Stunden vor dem Sex; zwei weitere danach, nach 24 und 48 Stunden). Das senkt die Kosten, aber auch die Nebenwirkungen einer Dauertherapie deutlich und sollte auch eine bessere Therapietreue bewirken. Und siehe da: die Resultate der Franzosen waren genau gleich gut wie jene der Engländer, und die Studie wurden wegen Erfolgs vorzeitig abgebrochen.

Erstaunlich ist die Tatsache, dass es nur zwei kleine, vergleichsweise billige Studien brauchte, um die bestehenden Vorurteile gegenüber PrEP über den Haufen zu werfen. Man fragt sich angesichts der riesigen, Hunderte Millionen Dollar verschlingenden Studien im Süden, warum das nicht früher geschah. Doch seien wir nicht kleinlich, wir haben jetzt die Daten, endlich. Aber wie geht es weiter? Truvada hat in Europa nach wie vor keine Zulassung der Behörden für den Einsatz in der Prävention. Weil diese fehlt, übernimmt auch kein System die Kosten. In der Schweiz wissen wir von einigen Ärzten, die bei Bedarf PrEP verschreiben. Die Patienten gehen mit dem Rezept über die Grenze, holen dort ihre Pillen weil sie billiger sind und bezahlen selbst.

Weil das kein Dauerzustand sein kann, hat sich die Arbeitsgruppe Therapie der Eidgenössischen Kommission für sexuelle Gesundheit EKSG (früher EKAF) dem Thema angenommen. Von der Truvada Herstellerfirma Gilead wissen wir, dass sie bei der europäischen Behörde eine Zulassung plant und in der Schweiz dasselbe möglich ist. Die Arbeitsgruppe der Kommission wird nochmals die veröffentlichten Daten begutachten und ihre Bedeutung für die Schweiz beurteilen. Man muss sich gut überlegen, für welche Zielgruppe die PrEP kostenwirksam eingesetzt werden kann, wer die PrEP verschreiben soll, wie man die Therapie bei gesunden Menschen überwacht und schlussendlich wer das bezahlen soll. Wenn alles gut geht, erwarten wir eine Empfehlung per Ende 2015. Auch nach dem EKAF-Statement bleibt es spannend in der Prävention. Komplizierter wird es auch, aber das soll uns nicht weiter stören.

Auch wenn PrEP teurer ist als ein Kondom: Die Intervention ist auch wirksamer als der Gummi und ein weiterer, wichtiger Pfeil im Köcher der Prävention.

David Haerry

Am 28. Juli, dem Welt-Hepatitis-Tag, haben sich Betroffene auf dem Bundesplatz in Bern versammelt und eine Petition eingereicht, die an Bundesrat Alain Berset gerichtet ist und die die Behandlung für alle Hepatitis-C-Betroffenen fordert. Eine Mitarbeiterin des EDI hat sie entgegengenommen.

Knapp 1’300 Unterschriften haben die Aktivisten in den letzten Monaten gesammelt. Die Petitionäre wollen erreichen, dass die Einschränkung der Verschreibung der neuen Medikamente nur für Personen, deren Leber schon schwer geschädigt ist, aufgehoben wird. Die Schweizer Regelung der Limitierung der Medikamente erachten sie als unethisch und kritisieren, dass Tausenden von Patienten so die heilenden Medikamente vorenthalten werden. „Als ich vor ein paar Wochen nach vielen Jahren Leidenszeit endlich die Medikamente bekam war es, als ob ich ein neues Leben erhalten hätte. Bereits nach wenigen Tagen der Behandlung waren meine jahrelangen Beschwerden vollständig verschwunden“, schildert Mitinitiant Daniel Horowitz seine Erfahrung. Dies wollen die Aktivisten auch anderen Patienten ermöglichen und sie fordern Bundesrat Berset auf, das jahrelange Leiden von Betroffenen durch die Aufhebung der Limitatio zu beenden.


www.stophepatitisc.blogspot.ch

HepC Petition

Eigentlich hätte die Medienmitteilung des Universitätsspitals Zürich vom 25. Juni 2015 ein mittleres Erdbeben auslösen sollen . Das mangelnde Echo auf die Studie zur Hepatitis-C-Therapie bestätigt das Bild der „stillen Epidemie“ einmal mehr.

Die eben in PLOS ONE veröffentlichte Modellstudie ist eine eindrückliche Bestätigung des Modells mit Daten der Schweizerischen HIV-Kohortenstudie, welche an der CROI 2015 vorgestellt wurden (wir berichteten, http://goo.gl/HBoVvh). Der Befund der neuen Studie in Kürze: Eine frühere Therapie und bessere Vorsorgeuntersuchungen senken die Sterblichkeit um 90 Prozent und beeinflussen die langfristige Entwicklung der Gesundheitskosten positiv.

Die Schweizer Forscher haben in der neuen Studie die Auswirkungen unterschiedlicher Behandlungsstrategien auf die Sterblichkeit und die Folgekosten von Hepatitis C untersucht. Bereits bestehende Modelle wurden erweitert, um die möglichen Auswirkungen verschiedener Ansätze zu bewerten: keine Behandlung, Behandlung zur Verminderung von Leberkrebs (Leberkarzinome) und der Sterblichkeit. Dazu wurden auch die Folgekosten einer unbehandelten Hepatitis C im Modell berücksichtigt. Die Ausgangsdaten stammen aus der publizierten Forschung. Die Modelle untersuchten die Auswirkungen der unterschiedlichen Ansätze bis ins Jahr 2030.

Die Ergebnisse könnten deutlicher nicht sein. Unter den heutigen überaus konservativen Behandlungsansätzen betragen die jährlichen Kosten der nicht behandelten Hepatitis C 96,8 Millionen Franken. Man muss es wiederholen: fast 100 Millionen Franken jährliche Kosten für gar nichts, und das Leiden der Patienten kommt dazu.

Wie kriegt man die Sache in den Griff? Das Modell hat die Antwort: Die Sterblichkeit kann um 90% vermindert werden, wenn bis in drei Jahren (2018) jährlich 4'190 Patienten im Stadium F2 oder 3'200 Patienten im Stadium F3 mit den neuen hochwirksamen Therapien behandelt werden. Werden diese Strategien um zwei oder fünf Jahre verzögert, reduziert sich das Todesfallrisiko der Patienten nur um 75, respektive 57%.

Für den Studienleiter und Leberspezialisten Prof. Beat Müllhaupt vom Schweizer Zentrum für Erkrankungen der Leber, der Bauchspeicheldrüse und der Gallenwege (Swiss HPB-Center) am Universitätsspital Zürich (USZ) ist die Sache klar: «Mit einer frühzeitigen Hepatitis C-Therapie kann die Sterblichkeit um 90 Prozent gesenkt und die langfristige Entwicklung der Krankheitskosten positiv beeinflusst werden. Frühe Behandlungen können so die schweren Hepatitis-Folgeschäden und die entsprechenden Folgekosten reduzieren». Er findet es schade, dass die Preisdiskussion um die neuste Generation der Hepatitis C-Medikamente diese gewünschte Behandlung blockiert: «Ich wünsche mir, dass Politik, Industrie und Krankenkassen Lösungen erarbeiten, die den betroffenen Patienten zu Gute kommen.»

Wir pflichten bei und appellieren an alle Beteiligten, das unsägliche Katz- und Mausspiel auf dem Buckel der Patienten zu beenden. Eine rechtzeitige Hepatitis-C Therapie ist ein Menschenrecht und sie muss durch die Grundversicherung ohne Vorbehalte gedeckt werden. Das und nichts anderes ist im Sinn und Geist des Krankenversicherungsgesetzes.

David Haerry

1 http://goo.gl/BncNvr
2 Müllhaupt B, Bruggmann P, Bihl F, Blach S, Lavanchy D, Razavi H, et al. (2015) Modeling the Health and Economic Burden of Hepatitis C Virus in Switzerland. PLoS ONE 10(6): e0125214. doi:10.1371/journal.pone.0125214