Aktuell

Am 22. Juli hat die EMA das in der HIV-Therapie verbreitete Truvada für den Einsatz in der Prävention zur Zulassung empfohlen.
Wir kommen im nächsten Newsletter darauf zurück.

http://www.ema.europa.eu/ema/index.jsp?curl=pages/news_and_events/news/2016/07/news_detail_002578.jsp&mid=WC0b01ac058004d5c1

Im Juli 2016 fand die 21. Internationale Aids Konferenz mit ca. 18‘000 Teilnehmenden in Durban, Südafrika statt. Anders als vor 16 Jahren – als ein uneinsichtiger Präsident den Aids-Dissidenten glaubte und die Abgabe der antiretroviralen Therapie (ART) in Südafrikas Spitälern verbot – ist Südafrika heute stolz auf das grösste ART-Programm mit 3,4 Millionen Menschen, die daran teilnehmen.

Wissenschaftlich gab es wenig Aufregendes: Forschende berichten von mikrobiologischen Erkenntnissen, die Strategien zur Heilungs- und Impfforschung erleichtern, jedoch ohne konkrete und für Laien verständliche Resultate. Co-Infektionen mit TB, HCV und HBV sind stark präsent, PrEP ist in aller Munde; ebenso wie die ‚Test and Treat‘ Empfehlung der WHO, womit die Abgabe von ART nicht mehr an bestimmte CD4-Werte gekoppelt ist. Wer HIV-positiv getestet wurde, soll mit ART behandelt werden. Als Erfolg gilt, dass von den geschätzten 37 Mio. Menschen, die weltweit mit HIV leben, bereits 17 Mio. unter Therapie sind. Jedoch bleiben 20 Mio. ohne Zugang und die grosse Frage lautet: Wie soll das finanziert werden, wenn 13 von 14 Geberländern ihre Beiträge für den Globalen Fonds gekürzt haben? Wir hören immer wieder, dass Aids bis 2030 beendet werden soll. Ein Aktivist der Treatment Action Campaign TAC widerspricht dem vehement und fragt wütend, wie alle von „ending Aids“ sprechen können, wenn immer wieder der ARV-Nachschub fehlt und Menschen ihre Therapie unfreiwillig unterbrechen müssen?!

„Es ist an der Zeit, einzugestehen, dass etwas schrecklich falsch läuft“, erklärte Charlize Theron an der Eröffnungszeremonie. Obwohl alle notwendigen Instrumente vorhanden sind, um die weitere Ausbreitung von HIV zu verhindern - Kondome, PrEP, PEP, ART, Kenntnis der Übertragungswege wie man sich schützen kann – infizierten sich trotzdem 2015 weltweit 2.1 Mio. Menschen neu mit HIV. Für Charlize ist klar, warum es nicht gelingt, die Verbreitung von HIV zu stoppen: „Für uns sind bestimmte Leben wertvoller als andere, Männer wertvoller als Frauen, heterosexuelle Liebe ist wertvoller als homosexuelle. Weisse Haut ist wertvoller als dunkle, die Reichen wertvoller als die Armen, und Erwachsene wertvoller als Jugendliche.“ Und sie weist darauf hin, dass HIV von sich aus nicht diskriminiert, keine biologische Präferenzen hat für Körper von Farbigen, Frauen, Schwulen, jungen Mädchen oder von Armen, dass nicht HIV diese Auswahl trifft, sondern wir: „WIR suchen die Verletzlichen, Unterdrückten, und die Ausgebeuteten aus. Wir ignorieren sie, lassen sie leiden und an Aids sterben.“

Charlize Theron bringt auf den Punkt, warum dem so ist, und wer die Möglichkeit hat, dies zu ändern: Sie ruft die nächste Generation, die heutige Jugend auf, Aids zu beenden: „Ihr seid „Gen-end-it“! Und erklärt IT für alle unmissverständlich: „IT ist nicht einfach Aids, IT ist eine Kultur, die Vergewaltigung gutheisst und deren Opfer zu Schweigen und Scham verurteilt, IT ist der Kreislauf von Armut und Gewalt, der Mädchen zwangsverheiratet und sie zwingt, ihre Körper zu verkaufen, um ihre Familien zu versorgen. IT ist der Rassismus, der den Weissen und Mächtigen erlaubt, die Schwarzen und Armen auszubeuten und ihnen auch noch die Schuld zuschiebt an ihrem Leiden. IT ist die Homophobie, die LGBT-Jugend diskriminiert und isoliert und sie von lebenswichtiger Gesundheitsversorgung und Behandlung fernhält.“ Mit diesem Statement fasst Charlize zusammen, was wir nicht nur im Laufe dieser Konferenz – sondern schon über viele Jahre hin - immer wieder hörten: Im südlichen Afrika sind Mädchen zwischen 15 – 24 Jahren die am stärksten von HIV betroffene Gruppe. Omnipräsente Gender Ungleichheiten, Machtdynamiken, Opfer-Status‘ und Armut werden immer wieder aufgezählt als Gründe, warum Frauen keinen gleichberechtigten Zugang zu Rechtssprechung, Ressourcen, Erziehung und letztlich zu HIV-Prävention, Dienstleistungen und Behandlung haben.

Das Thema der Konferenz – Access Equity Rights Now - zielt direkt in ein zentrales Konferenzthema: Kriminalisierung von HIV, Sex Work, Homosexualität und intravenösem Drogengebrauch erschweren die Arbeit mit denjenigen, die am stärksten von HIV betroffen sind, und die zu schwach sind, sich zu wehren. Darum werden sie in zu vielen Ländern Opfer von kontraproduktiven Gesetzen. Justice Edwin Cameron bezeichnet Gesetze, die HIV, Homosexualität, Sexwork und Drogenkonsum kriminalisieren, als „devious and evil“ in seiner Jonathan Mann Lecture. Er würdigt die Aktivistinnen und Aktivisten, indem er sie auf die Bühne ruft: „Lasst uns diese Konferenz den Sexworkern, den Drogenkonsumierenden, den Migranten, den afrikanischen Männern, die Sex mit Männern haben, den Verletzlichen, den Armen und den Kindern widmen!“
Gerne schliesse ich mich Therons Schlussworten an: „ ... HIV wird nicht einfach nur durch Sex übertragen, sondern durch Sexismus, Rassismus, Armut und Homophobie. Und wenn wir Aids heilen wollen, dann müssen wir damit in unseren Herzen und Gedanken anfangen.“

Romy Mathys / Juli 2016

 

Charlize Theron an der Opening Ceremony: https://youtu.be/4sJQ7RfQby0
Justice Edwin Cameron: https://youtu.be/FvQFLAGuU8A
Informationen über die Konferenz: http://www.aids2016.org/

Die Behandlung der Hepatitis C Virus (HCV) Infektion mit den neuen hochwirksamen Anti-HCV Medikamenten ist in vielen Ländern aufgrund des hohen Preises dieser Medikamente erst bei Patienten mit einem fortgeschrittenen Leberschaden erlaubt.

Zahnd und Kollegen haben nun ein Modell entwickelt, um die Auswirkung einer HCV-Behandlung auf Leber-bedingte Erkrankungen und die Sterblichkeit in Abhängigkeit des Stadiums des Leberschadens zum Zeitpunkt des Therapiebeginns zu untersuchen. Die Autoren konnten in ihrem Model zeigen, dass ein verzögerter Therapiebeginn das Risiko an der HCV-Infektion zu sterben oder an schweren Leberkomplikationen zu erkranken um ein vielfaches erhöht und letztendlich keine kosteneinsparende Massnahme darstellt.

Diese Studiendaten unterstützen das Vorgehen, bei allen HCV-infizierten Personen bereits zu einem frühen Zeitpunkt eine HCV-Therapie einzuleiten und nicht abzuwarten, bis die Komplikationen der HCV-Infektion aufgetreten sind. Damit dieses Vorgehen für das Gesundheitssystem erschwinglich ist, müssten allerdings die zurzeit sehr hohen Medikamentenpreise nachhaltig gesenkt werden.

Danièle Perraudin / Juli 2016
Publikation im Journal of Hepatology 2016

http://www.shcs.ch/userfiles/file/news/Zahnd_Modelling_the_impact_of_deferring_HCV_treatment_on_liver-related_complications_2016_J_of_Hepatology.pdf

Die Eidgenössische Kommission für Aidsfragen (EKAF, heute EKSG) wirbelte 2008 noch einigen Staub auf als sie sagte, ungeschützter Sex unter sero-diskordanten Paaren bedeute kaum ein Risiko, wenn der infizierte Partner seit mindestens 6 Monaten erfolgreich therapiert sei. Die eben publizierte Partner-Studie beweist jetzt: die EKAF hatte recht. Eine rasche und funktionierende Therapie aller Menschen mit HIV ist die beste Prävention. Die Daten wurden an der Welt-Aids Konferenz in Durban präsentiert und eifrig diskutiert.

Die Partner-Studie zeigt uns deutlich, dass bei unterdrückter Viruslast kein HIV übertragen wird. Zwar hatten frühere Studien bereits Hinweise geliefert, doch waren dort die Teilnehmer heterosexuelle Paare und viele von ihnen verwendeten Kondome. In der Partner-Studie jedoch wurden sowohl schwule wie auch heterosexuelle und sero-diskordante Paare eingeschlossen die beim Sex aufs Kondom verzichten. Dadurch wurde die Studie genauer, denn die Beobachtungszeit von Paaren, welche beim Sex aufs Kondom ganz verzichten, war sehr viel länger.

Insgesamt elf bei Studienstart HIV-negative Partner haben sich infiziert – 10 schwule Männer und eine heterosexuelle Person. Die Infektionen stammten aber alle nicht vom HIV-positiven festen Partner. Acht von elf Personen räumten denn auch ein, ungeschützten Geschlechtsverkehr ausserhalb der Partnerschaft praktiziert zu haben.

Interessant ist auch der Hinweis, dass 91 der HIV-positiven Teilnehmer eine sexuell übertragbare Krankheit während der Studie behandeln liessen – fast gleich viele wie bei den HIV-negativen. Auch in dieser Situation gab es kein erhöhtes Risiko einer HIV-Übertragung.

Um die Sicherheit der Daten noch zu verbessern, wird die Studie weitergeführt und es werden zusätzliche schwule Paare aufgenommen.

Diese Daten sind einfach zu verstehen: 58'000 mal ungeschützten Sex (ohne Kondome) und keine einzige HIV-Übertragung. Damit dürfen wir es laut sagen: Es besteht kein Risiko einer HIV-Übertragung bei einer nicht nachweisbaren Viruslast. Weder andere sexuell übertragbare Krankheiten noch sogenannte „Blips“ 2 haben daran etwas geändert.

Was keine klinische Studie völlig ausschliessen kann, ist dass trotzdem eine Übertragung stattfinden könnte. Die Wahrscheinlichkeit ist aber derart gering, dass wir uns deswegen den Kopf nicht weiter zerbrechen sollten – eine Übertragung ist fast unmöglich. Diese Studie sollte also zu Normalisierung von HIV beitragen und sich positiv auf Stigma und Diskriminierungen auswirken.

In sehr vielen Ländern gibt es noch immer Gesetze, welche Menschen mit HIV kriminalisieren, und dabei von Risiken ausgehen, welche mit dieser Studie eindeutig widerlegt werden. Menschen mit HIV welche mit HIV-negativen Partnern Sex haben, werden dort bestraft, auch wenn ein Kondom eingesetzt oder die Viruslast nicht nachweisbar ist. In der Schweiz besteht die Gefahr seit Inkrafttreten des neuen Epidemiengesetzes per 1. Januar 2016 nicht mehr 3 - bestraft werden nur noch effektiv erfolgte Infektionen mit böswilliger Absicht (wie das traurige Beispiel des Berner Heilers).

Im Journal der American Medical Association, wo die Partnerstudie am 12. Juli publiziert wurde, wurde gleichzeitig auch ein Editorial veröffentlicht, welches sich mit der Sicherheit des kondomfreien Sex durch HIV-Positive beschäftigt. 4 Diese Ausführungen tragen mit Sicherheit zur weiteren Verwirrung des Publikums bei und dienen vor allem dem Ego der Autoren. Seriöse Wissenschaft im Dienste des Menschen ist das nicht.

David Haerry / Juli 2016


1 http://jama.jamanetwork.com/article.aspx?articleid=2533066
2 Blips sind kleine, kurzfristige Erhöhungen der Viruslast, die ab und zu gemessen werden.
3 http://www.tagesanzeiger.ch/schweiz/standard/Der-Bund-will-die-Uebertragung-von-Aids-entkriminalisieren/story/27104301
4 http://jama.jamanetwork.com/article.aspx?articleid=2533043

Noch vor zehn Jahren waren Therapieresistenzen das grosse Schreckgespenst in der HIV-Therapie. Vielen Patienten sass die pure Angst im Nacken – wie lange hält und wirkt die Therapie? Sind irgendwann alle Patienten multiresistent und austherapiert? Eine eben publizierte Studie der HIV-Kohorte gibt Entwarnung – definitiv.

1987 wurde AZT als das erste HIV-Medikament durch die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) zugelassen. AZT (Handelsname Retrovir), ist noch immer erhältlich, spielt aber in der heutigen Therapie kaum mehr eine Rolle.

Eingesetzt wurde AZT damals als Monotherapie. Schon bald zeigte sich, dass das Medikament nach wenigen Monaten nicht mehr wirksam war – die Viren waren resistent geworden. Damals hatte man das Phänomen zwar beobachtet, aber noch nicht richtig begriffen. Gute fünf Jahre später schafften weitere Medikamente derselben Substanzklasse die Zulassung. Wenn man nun beim Therapiebeginn gleich zwei Substanzen benutzte, war die Therapie etwas länger wirksam. Der definitive Durchbruch kam aber erst 1995 mit der Zulassung der ersten Proteasehemmer: wurde diese neue Substanzklasse mit zwei Molekülen der NRTI-Klasse kombiniert, dann funktionierte die Therapie dauerhaft. Die HIV-Kombinationstherapie war geboren.

Die damaligen Therapieschemen waren aber eine Zumutung für die Patienten. Viele, sehr viele Tabletten zwei- oder dreimal am Tag, teils mit, teils ohne Essen – der Alltag drehte sich förmlich um die Pillen. Hinzu kamen die zum Teil schweren Nebenwirkungen – auf Dauer waren die meisten Patienten von der Therapie überfordert.

Viele Patienten hatten damals auch eine Therapiegeschichte mit Mono- oder Dualtherapien. Resistenzen waren also bereits vorhanden, und der neue Proteaseinhibitor wurde einfach aufgepfropft, und damit eine neue Einzelsubstanz zu den mehr schlecht als recht funktionierenden NRTIs zugefügt. Dann kam die nächste Studie, die nächste neue Substanz, wieder obendrauf – und nach ein paar Monaten entstanden wieder neue Resistenzen. Ein nicht enden wollender Kreislauf des Versagens.

Nach dem Jahr 2000 konzentrierte sich die HIV-Medikamentenentwicklung auf zwei Prioritäten:

  • Neue Therapien mussten gegen resistente Viren wirksam sein
  • Die Therapien mussten unbedingt besser verträglich und die Dosierungen einfacher sein

Man hat damals auch gelernt, dass bei vorbehandelten Patienten eine Therapieumstellung nur funktioniert, wenn mindestens zwei Medikamente aus zwei Klassen voll wirksam sind, und dass man vor dem Therapiebeginn einen Resistenztest machen muss, weil eventuell resistente Viren übertragen wurden.

Ab ungefähr 2008 kam eine Welle neuer Medikamente (z.B. Integrasehemmer, neuere Proteasehemmer und NNRTIs) auf den Markt – diese erfüllten die eben erwähnten Kriterien der besseren Verträglichkeit, einfacheren Dosierung und Wirksamkeit trotz bestehender Resistenzen. Die grosse Zahl neuer Therapien in verschiedenen Klassen half auch den alten, multiresistenten Patienten aus der Sackgasse. Mit ganz wenigen Ausnahmen konnten neue, verträgliche und wirksame Kombinationen verabreicht werden. Enfuvirtide oder T-20, das zweimal täglich zu spritzende, sehr teure Präparat der allerletzten Wahl wurde zum Ladenhüter.

Die Autoren konnten in der aktuellen Studie zeigen, dass die Entstehung neuer Resistenzmutationen zwischen 1999 und 2013 dramatisch von 401 auf 23 Patienten zurückgegangen ist.

Die Studie zeigt, dass die Resistenzbürde in der HIV-Kohortenstudie ein Relikt aus den Anfangsjahren der Therapie darstellt, als die Medikamente noch nicht in Kombination eingesetzt wurden. Die Entstehung von Resistenzen konnte mit der Einführung von neuen Substanzen ab 2006 praktisch gestoppt werden, und nur acht Patienten mit Therapiestart nach 2006 entwickelten eine 3-Klassen Resistenz.

Resistenzen in der SHCS

Therapiebeginn Vor 1999 1999-2006 2007-2013

Resistenzen nachgewiesen

56% 20% 10%
NNRTI Resistenzen 18% 8% 4%
NRTI Resistenzen 54% 16% 5%
PI Resistenzen 28% 7% 2%

Resistent gegen 2 Klassen

22% 8% 1.7%


Ist nun wirklich alles in Butter?
Für Schweizer und Europäer sind wir sicher. In ärmeren Ländern, insbesondere in Sub-Sahara Afrika aber auch in Osteuropa gilt das nicht. Die in diesen Ländern eingesetzten Erst-Therapien genügen den Anforderungen nicht, und die Instrumente um die Resistenzprobleme rechtzeitig festzustellen, sind nicht da. Die Zweit-Therapien sind um ein Vielfaches teurer als die Ersttherapien. Diese Länder brauchen deshalb dringend wirksamere und gleich billige Ersttherapien. Nur dann können auch sie der Resistenzfalle entrinnen.

David Haerry / Juli 2016

 

1 Alexandra Scherrer et al, Swiss HIV Cohort Study SHCS, Clinical Infectious Diseases May 15, 2016, DOI: 10.1093/cid/ciw128