Aktuell

Das Bundesamt für Gesundheit BAG publiziert ein wöchentliches Bulletin für medizinische Fachpersonen und Medienschaffende. Die Ausgabe vom 14. November 1 kommt mit einem neuen, besser lesbaren Layout. Sie widmet sich ganz der Epidemiologie von HIV und anderer sexuell übertragbarer Krankheiten.

Was wir da lesen, gefällt uns gar nicht. Auf Seite 14 findet sich eine Abbildung mit den HIV-Labormeldungen nach Geschlecht und Testjahr, 1985-2015. Das sieht noch ganz gut aus. Auf Seite 20, Abbildung 5 kommt der dicke Fisch. Diese Grafik zeigt frische und ältere HIV-Infektionen für MSM, heterosexuelle Männer und heterosexuelle Frauen. Bei neuen Diagnosen schaut man in der Schweiz gut hin: handelt es sich um eine ältere oder eine frische Infektion? Das hilft der Interpretation der Daten.

Es zeigt sich, dass bei den MSM die frischen Infektionen seit 2013 von 100 auf über 150 angestiegen sind. Das sind 50% mehr frische Infektionen! Im Begleittext unter dem Titel „Fazit“ folgt ein geradezu frivoler Kommentar: „Bei MSM wurden häufiger frische Infektionen diagnostiziert als bei Personen mit heterosexuellem Ansteckungsweg. Die Zahl dieser Fälle hat seit dem Jahr 2014 zugenommen. Dies könnte teilweise auf eine Zunahme von HIV-Tests in dieser Gruppe zurückzuführen sein, doch ist eine Zunahme der Neuinfektionen nicht ausgeschlossen.“

Liebes Bundesamt, diese Interpretation ist nicht haltbar. Wir erwarten eine Stellungnahme der Eidgenössischen Kommission für Sexuelle Gesundheit EKSG!

 

http://www.bag.admin.ch/hiv_aids/05464/05498/05766/

Am 25. November fand in Bern die erste Weiterbildung inklusive Webinar des neugegründeten Vereins EUPATI CH statt. Aus Anlass des Welt-Aids-Tags wurden für den ersten Weiterbildungsanlass die Themen HIV und Hepatitis C gewählt. Die europäische Patientenakademie EUPATI will mit ihren Länderplattformen Patienten und Patientenorganisationen ermöglichen, sich über neue Therapien zu informieren und sich aktiver in die Arzneimittelforschung und –entwicklung einzubringen.

Für Patienten ist es schwierig, die Entwicklung von Arzneimitteln und ihre zahlreichen rechtlichen und ethischen Regulierungen zu durchschauen. Zudem ist es auch schwer, als Patientin oder Patient an verständliche Informationen zu neuen Therapieoptionen zu kommen oder die nötigen Informationen zu klinischen Studien rechtzeitig in verständlicher Form zu erhalten. 1 EUPATI CH will dies ändern und Patienten zu gut informierten Fürsprechern und Beratern ausbilden, damit ihre Stimme in der Arzneimittelforschung und –entwicklung gestärkt wird. 2

Der erste Schweizer Anlass wurde im Haus der Universität durchgeführt und gleichzeitig als Webinar übertragen. David Haerry gab einen interessanten Rückblick auf die Entwicklungen der ART und zeigte die Erfolgsgeschichte der HIV-Behandlung seit 1996 auf. Gleichzeitig legte er aber auch die Finger auf die wunden Punkte bei den aktuellen Therapien und wies auf die aktuellen Brennpunkte der Forschung hin. Faszinierend sein Ausblick auf künftig zu verfolgende Therapieregimes, wie Erhaltungstherapien mit zwei Komponenten oder die Depotformulierungen, die derzeit mit Tieren getestet werden. Anschliessend referierte PD Dr. med. Nasser Semmo, Leitender Arzt Hepatologie am Inselspital Bern, über die neuen Behandlungsmethoden von Hepatitis C. Dabei verglich er die unterschiedlichen Strategien der Gesundheitssysteme verschiedener Länder und wies auf das Erfolgsmodell Australien hin. Die Schweiz Hepatitis Strategie ist ein Verbund von rund 80 Fachorganisationen und Netzwerkpartnern. Bei Hepatitis C sind die grossen Herausforderungen die Prävention, die Diagnose (fast die Hälfte der Betroffenen weiss nichts von ihrer Infektion) sowie der Zugang zur Behandlung.

In einer engagierten Diskussion zwischen den beiden Experten und dem Patientenvertreter Oliver Wehrli von der Schweizerischen Hepatitis C Vereinigung (SHCV) stand im Zentrum, wie die Stimme der Patienten gestärkt werden kann. Oliver Wehrli wies vehement auf den unhaltbaren Zustand hin, dass Hepatitis C Patienten in der Schweiz die bestmögliche Behandlung und damit häufig auch eine Heilung verweigert wird.

Dieser Weiterbildungsanlass stellte den Beginn der Aktivitäten des Vereins EUPATI CH dar, im Jahr 2017 wird der Verein weitere Anlässe zu spannenden Themen veranstalten. EUPATI arbeitet mit der Industrie zusammen, welche Einsitz nehmen kann in ein Advisory Board. Der HIV-Teil der Veranstaltung wurde denn auch von ViiV Healthcare grosszügig unterstützt.

Link zum Webinar: https://www.youtube.com/watch?v=-eqmpAln2sM

Hansruedi Völkle / November 2016

1 http://www.patientsacademy.eu/index.php/de/about-eupati/4-eupati-im-ueberblick
2 http://www.patientsacademy.eu/index.php/de/about-eupati

Das System der Schweizerischen Krankenversicherung ist komplex und wirft vor allem bei Personen, die neu aus dem Ausland in die Schweiz ziehen, zahlreiche Fragen auf. Im folgenden sind die wichtigsten Punkte aufgeführt, die es zu berücksichtigen gilt.

Wer seinen Arbeitsort und/oder Wohnsitz in die Schweiz verlegt, muss sich innerhalb von drei Monaten bei einer Krankenkasse nach Krankenversicherungsgesetz (KVG) versichern lassen. Die Krankenkasse nach KVG (so genannte Grundversicherung) kann frei gewählt werden, und diese ist verpflichtet, alle Personen unabhängig von Alter und Gesundheitszustand ohne Einschränkungen zu versichern, also auch Menschen mit HIV. Die Krankenkasse darf nicht nach HIV oder anderen Diagnosen fragen und man muss diese vor Vertragsschluss auch nicht bekannt geben.

Andere Regeln gelten für die freiwilligen Zusatzversicherungen. Diese unterstehen dem privatrechtlichen Bundesgesetz über den Versicherungsvertrag (VVG). Bei der Aufnahme in Zusatzversicherungen dürfen die Versicherer Risikoprüfungen in Form von Gesundheitsfragen vornehmen. Menschen mit HIV wie auch mit anderen vorbestehenden Krankheiten und ältere Menschen werden nicht aufgenommen. Die Zusatzversicherungen bieten gewisse Vorteile wie z.B. Einzelzimmer bei Krankenhausaufenthalt, Beitrag ans Fitnessabo, etc. ABER: Alle in Zusammenhang mit der HIV-Infektion stehenden notwendigen Medikamente und Behandlungen werden von der obligatorischen Krankenversicherung übernommen. Insbesondere sind dies:

  • Kosten für Diagnose und Behandlung von Krankheiten
  • Medikamente, wenn sie ärztlich verschrieben und in der so genannten Spezialitätenliste des Bundesamts für Gesundheit aufgeführt sind
  • Spitalaufenthalte in der allgemeinen Abteilung eines öffentlichen Akutspitals
  • Spitalexterne Krankenpflege «Spitex» (wenn sie ärztlich verordnet ist)
  • Pflegeheim (auch hier ist eine ärztliche Verordnung notwendig).


Selbstbeteiligung (Franchise, Selbstbehalt)
Entstehen Kosten für Arzt, Spital oder Medikamente, müssen die Versicherten zuerst selber gewisse Kosten übernehmen, einerseits im Rahmen der Franchise, andererseits im Rahmen des Selbstbehalts. Die ordentliche gesetzliche Franchise beträgt CHF 300 pro Kalenderjahr (Stand 2016), sie kann jedoch von den Versicherten freiwillig erhöht werden, damit sie in den Genuss von Prämienrabatten kommen. Eine Erhöhung der Franchise empfiehlt sich nicht, wenn jemand die antiretrovirale Therapie nimmt oder wenn regelmässig Laboruntersuchungen zur Überwachung des Verlaufs der HIV-Infektion gemacht werden.

Erst ab dem Zeitpunkt, in welchem die Krankheitskosten die Franchise übersteigen, beteiligt sich die Krankenkasse an den weiteren Kosten, abzüglich des Selbstbehalts. Der Selbstbehalt ist derjenige Betrag, den der Versicherte bei Leistungsbeanspruchung selbst tragen muss. Dies sind in der Regel 10% bis zu einem jährlichen Maximum von CHF 700. Pro Jahr muss man also max. CHF 1’000 plus die monatlichen Krankenkassenprämien selbst zahlen. Einen Überblick über die schweizerischen Krankenkassen (inkl. Prämienvergleich) verschafft www.priminfo.ch. Über die dort vorhandenen Links kann man bei den einzelnen Versicherungsgesellschaften online eine Offerte anfordern.

Zwei Vergütungsprinzipien
Bei einigen Krankenkassen müssen Medikamente zunächst selber bezahlt werden und dann die Quittung zur Rückforderung des Betrags an die Krankenkasse geschickt werden (sog. Tiers-Garant-Prinzip). Bei hohen Beträgen (z.B. HIV-Medikamenten) kann es für manche Leute schwierig sein, diese Kosten zu bevorschussen. Erkundigen Sie sich vor dem Abschluss bei der entsprechenden Krankenkasse, ob die Medikamente direkt zwischen Apotheke und Krankenversicherung abgerechnet werden können (sog. Tiers-Payant-Prinzip).

Verschiedene Modelle mit Sparmöglichkeiten
Neben der Versicherung mit ordentlicher Franchise und wählbaren Franchisen bieten die Krankenkassen verschiedene Modelle mit Sparmöglichkeiten an, z.B. das Hausarztmodell; hier muss vor dem Besuch eines Spezialisten (z.B. HIV-Spezialist) immer erst der Hausarzt aufgesucht werden. Wer als Hausarzt gilt, kann auf der Liste der entsprechenden Krankenkasse eingesehen werden. Beim HMO-Modell müssen Gesundheitszentren aufgesucht, beim Telmed-Modell zunächst Ärzte der Krankenkasse angerufen werden. Wer ein solches Modell in Erwägung zieht, sollte sich vor dem Abschluss bei der entsprechenden Krankenkasse erkundigen, was dies genau für die Behandlung der HIV-Infektion oder anderer bestehender chronischer Krankheiten bedeutet. Allenfalls ist auch eine Dauerüberweisung an einen HIV- oder anderen Spezialisten möglich.

Prämienverbilligung
Personen in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen erhalten Beiträge zur Verbilligung der Prämien in der obligatorischen Krankenversicherung. Die bescheidenen finanziellen Verhältnisse bestimmen sich aufgrund der finanziellen, der persönlichen und der familiären Situation. Informationen hierzu erteilen die Wohngemeinden.

Weitere Informationen

Kostenlose Rechtsberatung
Für rechtliche Fragen in Zusammenhang mit HIV steht das Rechtsberatungsteam der Aids-Hilfe Schweiz telefonisch und schriftlich am Dienstag und Donnerstag von 9-12h und 14-16h kostenlos zur Verfügung, unter Tel. 044 447 11 11 oder E-Mail Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!.

Merkblatt Einreise und Aufenthalt in der Schweiz

Caroline Suter, Aids-Hilfe Schweiz / November 2016

In der Schweiz ist für Menschen aus Subsahara Afrika die eigene Community ein wichtiges soziales Netzwerk, das sie in vielfacher Weise unterstützt. Die Angst davor, wegen HIV in der eigenen Community diskriminiert und stigmatisiert zu werden, ist darum besonders gross. Viele verheimlichen ihre HIV-Infektion vor ihren Landsleuten und sind darum auf die Diskretion von Fachleuten beispielsweise in der Asylbetreuung oder im Sozialbereich angewiesen. Eine «Erklärung zur Schweigepflicht» soll dazu beitragen, die Bedeutung dieser Schweigepflicht im Zusammenhang mit HIV nochmals aufzuzeigen.

Der Positivrat hat mit seinem Migrationsprojekt im Bereich HIV-Therapie von Menschen aus Subsahara Afrika Probleme analysiert und dazu Lösungsvorschläge generiert. Viele von ihnen leben mit grossen Ängsten davor, wegen HIV stigmatisiert und diskriminiert zu werden. Als Lösungsvorschlag hat der Positivrat eine «Erklärung zur beruflichen Schweigepflicht» als einfaches Instrument erarbeitet. Sie wurde für Fachleute konzipiert, die im beruflichen Kontext mit HIV-positiven Menschen aus Subsahara Afrika arbeiten. Ziel der Erklärung ist es, Personen, die in der Pflege, in der Sozialen Arbeit oder im Asylwesen arbeiten, für die spezifischen Ängste von Menschen mit HIV zu sensibilisieren. Eine HIV-Infektion und deren Behandlung gehören zu den besonders schützenswerten Personendaten und stehen in der Schweiz unter beruflicher Schweigepflicht.

Bei Menschen mit HIV aus Subsahara Afrika ist die Angst davor, von ihren eigenen Landsleuten wegen HIV diskriminiert und stigmatisiert zu werden, besonders stark ausgeprägt. Selbst harmlose Hinweise zur täglichen Medikamenteneinnahme in einem Asylzentrum können darum im Erleben einer betroffenen Person intensive Ängste auslösen, von Landsleuten als HIV-positiv erkannt zu werden. Von solchen „Versprechern“ wird immer wieder berichtet und Betroffene fühlen sich solchen Situationen hilflos ausgeliefert.

Die Schweigepflichterklärung eröffnet HIV-Fachleuten die Möglichkeit, die berufliche Schweigepflicht in Bezug auf HIV zu thematisieren und aufzuzeigen, welche Konsequenzen ein Verstoss dagegen für die Betroffenen haben kann. Gerade weil sie fern von ihrer Heimat nicht auf ihre vertrauten sozialen Netzwerke zurückgreifen können, sind für Menschen aus Subsahara Afrika bestehende Diaspora-Netzwerke von grosser Bedeutung und eine wichtige soziale Ressource. Das Risiko, ihr persönliches Umfeld und damit ihre zentrale soziale Unterstützung zu verlieren, löst bei ihnen grosse Ängste aus. Darum versuchen sie mit allen Mitteln zu verhindern, dass andere Personen aus ihrem Land von ihrer HIV-Infektion erfahren und diese Information in der Community weitererzählen oder über Facebook weiter verbreiten. Darum ist es für die Betroffenen zentral, dass die berufliche Schweigepflicht in Bezug auf ihre HIV-Infektion und die dafür notwendigen Medikamente zuverlässig gegenüber allen Personen gewahrt wird.

Erklärung zur Schweigepflicht

Romy Mathys / November 2016

In Australien (Commonwealth of Australia mit rund 24 Millionen Einwohner) waren im 2012 etwa 230‘000 Personen mit dem Hepatitis C-Virus1 infiziert; diese Zahl nimmt jährlich um rund 10‘000 zu. Von den genannten haben 58‘000 mittlere bis schwere Leberschäden. Die am stärksten vertretene Altersklasse sind die 51- bis 60-Jährigen. Im Jahr 2012 rechnete man, dass 75 % dieser 230'000 Personen auf HCV diagnostiziert wurden, 20 % in Behandlung und 11 % bereits geheilt sind. Weltweit rechnet man gemäss WHO mit 150 Millionen HCV-infizierten Menschen und einer jährlichen Zunahme von 3 bis 4 Millionen. 

Da in Australien die Todesfälle durch Hepatitis-verursachte Leber-Erkrankungen seit einigen Jahren ansteigen, hat die Regierung hier Handlungsbedarf ausgemacht, dies insbesondere bei den Personen, die Drogen injizieren (PWID), welchen den grössten Teil der HCV-Infizierten ausmachen. HCV wurde von der Regierung denn auch als Bedrohung der öffentlichen Gesundheit - man spricht von einer Silent Pandemic - identifiziert, was ein nationales HCV-Programm rechtfertigt. Die australische Zentralregierung beschloss am 20. Dezember 2015, eine umfassende HCV-Strategie umzusetzen: The Fourth National Hepatitis C Strategy 2014-2017.

Seit kurzem sind neue Behandlungsmöglichkeiten von HCV verfügbar, die als Direct Antiviral Agents, abgekürzt DAA wirken anstatt wie bisher Interferon und Ribavirin zu verabreichen. Die Heilungschancen sind mit über 95% sehr gut die Verträglichkeit ist wesentlich besser als bei Interferon und Ribavirin, es gibt wenig bis gar keine Nebenwirkungen.

Das nationale HCV-Programm für den Commonwealth of Australia will die Neuinfektionen um 50 % reduzieren und die Anzahl behandelter Personen deutlich erhöhen. Alle Betroffenen, ohne jede Einschränkung, also auch unabhängig davon, wie und wo sie sich infiziert haben, sollen Zugang zur Behandlung erhalten. Dies betrifft auch Patienten mit Re-Infektionen oder mit Therapieversagen (Treatment Failure). Zum Programm gehört auch die Förderung von HCV-Tests und entsprechender breiter Information der Bevölkerung; Harm-Reduction-Programme für PWID; Schulung, Information und Sensibilisierung der Ärzte (alle Ärzte ohne Einschränkung dürfen die neuen HCV-Medikamente verschreiben) sowie ein Monitoring-Programm das Behandlung und Ergebnisse (u.a. die Adhärenz) des Programmes statistisch erfassen und evaluieren soll. Man erhofft damit eine Win-Win-Win-Situationen zu schaffen, die sowohl für die Behörden, als auch für die Pharma-Industrie und vor allem für die Betroffenen zu einer wesentlichen Verbesserung führt. Im Weiteren ist man überzeugt, dass eine wirkungsvolle Behandlung möglichst vieler HCV-Betroffener auch eine gute Präventionswirkung hat (ähnlich wie bei HIV). Prognoserechnungen lassen hoffen, dass wenn 80% der PWID mit HCV erfolgreich behandelt werden, die HCV-Prävalenz bei diesen Personen von 50% auf unter 5% sinken wird.

Dass dieses Programm überhaupt zu Stande kam und hier Australien weltweit eine Pionierrolle zukommt, hat wohl mit der Art und Weise der Verhandlung der Regierung mit den Herstellern der Medikamente zu tun. Mit rund 1% HCV-Infizierten gehört Australien (wie etwa die Schweiz oder Portugal) allerdings nicht zu den Hochprävalenzländern, wie beispielsweise Ägypten (22%, d.h. rund 12 Millionen HCV-Infizierte), Pakistan (4.8%), China (3.2%). Vereinfacht formuliert kann man die Vorgaben für die Verhandlungen der australischen Regierung mit der Pharmaindustrie folgendermassen zusammenfassen:

Australien ist bereit, für ein nationales HCV-Programm für die kommenden fünf Jahre 1 Mrd. australische Dollars ( 0.70 €) zu bewilligen. Wenn Australien die Medikamente zum «Ladenpreis für reiche Länder» von rund 100‘000 AUD pro Therapie übernimmt, könnten nur ein sehr kleiner Teil, also einige hundert Patienten behandelt und geheilt werden, was weder gerecht noch im Sinne einer Public Health Strategy ist. Anfänglich kostete nämlich eine 12-Wochen-HCV-Therapie in den USA 84‘000 US Dollars, also für eine Pille über 1’000US$. Für Entwicklungsländer wurde vom Hersteller ein Preis von 2’000 US$ für eine Behandlung ermöglicht. Eine Studie der Universität Liverpool kommt für Sofosbuvir (Brand Name Sovaldi) von Gilead zum einem realistischen, aktuellen Herstellungspreis von 1.70 US$ pro Pille, also rund 101 US$ für eine komplette 12-Wochen-Therapie, dies weil die Entwicklungskosten des Medikamentes durch die bisher von der Firma gemachten Gewinne bereits bei weitem amortisiert sind.

Wenn man sich jedoch zwischen Regierung und Hersteller auf einen wesentlich tieferen Preis einigen könnte, würden möglicherweise alle HCV-Betroffenen in Australien im Verlauf der nächsten fünf Jahre behandelt und mit hoher Wahrscheinlichkeit geheilt werden. Die Hersteller würden zwar so weniger Geld pro Therapie erhalten, dafür könnten sie wesentlich mehr Therapien (in Australien wären es dann über 200‘000 Therapien über die fünf Jahre des Programmes) verkaufen und beide Seiten würden dabei gewinnen. Anscheinend hat diese Strategie die Hersteller überzeugt und eine Einigung wurde erreicht. Die australische Gesundheitsministerin spricht von einem Preis pro Pille von 27.70 AUD bis eventuell gar nur 6.10 AUD (bei Herstellungskosten von rund 1 € pro Tablette für eine Therapie, die in der Regel 12 Wochen dauert) anstatt von 100‘000.—AUD pro Therapie.

Ähnliche Verhandlungen führten dazu, dass Indien selbst ein Generikum herstellen darf, sodass eine Therapie zwischen 100 bis 300 US$ kostet, während in Ägypten eine lokale Herstellung die Therapie für rund 300 US$ ermöglicht. Dieser enorme Preisunterschied hat dazu geführt, dass Patienten aus Europa (selbstverständlich mit einem gültigen Rezept ihres behandelnden Arztes) die Medikamente – auf durchaus legalem Weg – selbst aus Indien importieren, bisher allerdings auf eigene Kosten. Die Frage ist berechtigt, ob die Kosten solche Selbstimporte billiger Medikamente von den Krankenkassen bei uns zu übernehmen sind. Wenn sichergestellt werden kann, dass das importierte Medikament den Qualitäts-Anforderungen entspricht und die Therapie unter Kontrolle des behandelnden Arztes stattfindet, sollte dem nichts entgegenstehen.

Gemäss einer australischen Pressemitteilung von Ende Juli 2016 haben seit Start des Programmes bereits 22‘470 Personen die neue HCV-Therapie erhalten; vorher waren es pro Jahr lediglich 2’000 bis 3’000. Man hat gute Hoffnung, das Ziel des Programmes zu erreichen: dass bis 2030 die Neuinfektionen mit HCV und Hepatitis B um 90% zurückgehen, dass die Todesfälle durch HCV und Hepatitis B um 65% abnehmen, dass 90% der Kinder gegen Hepatitis B geimpft sein werden, dass 90% der im Jahr 2030 diagnostizierten Personen behandelt werden und dass 80% der Menschen mit HCV und Hepatitis B im Jahr 2030 geheilt sein werden.

Es ist sehr zu hoffen, dass auch weitere Länder ähnliche Nationale Programme erstellen und eine Zusammenarbeit mit der Pharmaindustrie anstreben und umsetzen, die im Interesse der Betroffenen ist. So hat beispielsweise Portugal im Februar 2015 ein nationales HCV-Programm beschlossen, das allen 13‘000 HCV-Betroffenen in Portugal in den kommenden drei Jahren Zugang zur Behandlung ermöglichen soll. Über den ausgehandelten Preis für die Medikamente wurde Stillschweigen vereinbart, gemäss Aussage des portugiesischen Gesundheitsministers hätten jedoch die Preise seit Beginn der Verhandlungen etwa auf die Hälfte abgenommen. Bis im Februar 2016 erhielten bereits 7’000 Personen eine Therapie mit einer Erfolgsrate von 96%. Andere europäische Länder (z.B. Schottland, Frankreich und Slowenien) haben ebenfalls nationale HCV-Programme initiiert.

John F. Dillon (Professor of Hepatology and Gastroenterology, University of Dundee) sagt dazu: «Wenn Portugal es tun kann, gibt es keine Entschuldigung für andere Industrieländer, es nicht umzusetzen. Sie hatten nicht die wirtschaftliche Stärke anderer Länder, wenn also Portugal sich entscheidet, es zu tun und sich dazu verpflichtet, müssten alle anderen Länder auch dazu im Stande sein.»

Es wäre durchaus prüfenswert, ob nicht mehrere Länder in Europa oder die EU selbst eine gemeinsame HCV-Strategie entwickeln und auch gemeinsam mit der Pharmaindustrie über Preise und Umsetzung verhandeln sollten. Es ist nämlich durchaus absehbar, dass in Zukunft weitere extrem teure Medikamente entwickelt werden, bei denen ebenfalls im Interesse von Public Health die nationalen Gesundheitsbehörden bei der Preisgestaltung mässigend und steuernd eingreifen sollten, damit auch diese für die entsprechenden Patienten zugänglich sind. Die HCV-Behandlung könnte damit zum Präzedenzfall werden.

Zum Schluss ein Zitat aus den Empfehlungen der WHO (Hepatitis C, Fact Sheet, Updated July 2016):

«Alle Erwachsenen und Kinder mit einer chronischen HCV Infektion sollten für eine antivirale Behandlung abgeklärt werden. … Die WHO empfiehlt, dass alle Patienten mit Hepatitis C mit einer DAA-basierten Therapie behandelt werden, ausser ein paar spezifische Personengruppen, bei denen die Interferon-basierten Therapien weiterhin eingesetzt werden (als Alternativtherapie für Patienten mit Genotyp 5 oder 6 und jene mit Genotyp 3 HCV Infektionen, die eine Zyrrhose haben).»

HIV Glasgow 2016: Therapiekosten werden zum Thema


Hansruedi Völkle / November 2016

 

1 HCV = Hepatitis C Virus