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Der Positivrat Schweiz fordert zahlbare Medikamentenpreise und Verzicht auf Zugangsbeschränkungen für neue Therapien der Hepatitis C


Zürich/Bern, 12. Januar 2015. Neue, hochwirksame Medikamente erhöhen die Chance auf Heilung einer chronischen Hepatitis C-Infektion. Doch hohe Medikamentenpreise und Zugangsbeschränkungen lassen die Mehrheit der Patientinnen und Patienten weiter warten.


Schätzungsweise 70'000 bis 80'000 Menschen sind in der Schweiz mit Hepatitis C infiziert. Ohne Behandlung kann das Virus die Leber und andere Organe des Körpers schwer schädigen und lebensbedrohlich sein.


An einer chronischen Hepatitis C leidende Betroffene erhoffen sich eine rasche Heilung durch neue, hochwirksame Medikamente. Doch die hohen Medikamentenpreise und eine strikte Zugangsbeschränkung durch die Zulassungsbehörden haben diese Hoffnung für viele zunichte gemacht. Die Zulassung des neuesten Medikaments nur für Menschen, die schon eine sehr schwere Lebererkrankung haben, ist unsinnig, denn eine frühe Intervention kann ein weiteres Fortschreiten der Leberkrankheit verhindern und chronisch-kranke Menschen heilen.


Der Positivrat Schweiz handelt angesichts dieser prekären Situation: Bisher vor allem aktiv in der Interessensvertretung von Menschen mit HIV, öffnet sich das Fachgremium für Menschen mit einer chronischen Hepatitis C. In einem Manifest nimmt der Positivrat zur Situation Stellung.


Der Positivrat erachtet die jetzige Situation als zynisch und eine Fehlleistung des sonst so vorbildlichen Schweizerischen Gesundheitssystems. Er ruft alle Akteure auf, das Patientenwohl bei der Zulassung weiterer Medikamente ins Zentrum zu stellen, vertretbare Medikamentenpreise zu erwirken sowie auf Zulassungsbeschränkungen zu verzichten.


Kontakt:
Bettina Maeschli, Vorsitz Positivrat Schweiz, mobile: 076 412 33 35, E-Mail: Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!

Manifest_Chronische_Hepatitis_C.pdf
Medienmitteilung_Manifest.pdf

Diese Nachricht hat die Debatte um das „chemische Kondom“ weltweit neu entfacht: Ein beratendes Gremium der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA empfiehlt die Zulassung des HIV-Medikamentes Truvada als Prä-Expositionsprophylaxe.

Das Antiviral Drugs Advisory Committee (ADAC) der FDA empfiehlt die Zulassung von Truvada als Prä-Expositionsprophylaxe (PrEP) für schwule Männer mit 19 gegen 3 Stimmen, und mit 19 gegen 2 für die Benutzung in serodiskordanten Beziehungen. Mit einer dritten Abstimung empfiehlt das ADAC mit 12 gegen 8 Stimmen, Truvada für den generellen Gebrauch für alle Menschen mit hohem HIV-Risiko zuzulassen. Das FDA muss den Empfehlungen dieses beratenden Gremiums nicht Folge leisten. Eine definitive Entscheidung wird per 15. Juni erwartet. Ein Entscheid gegen die Empfehlung des ADAC ist aber angesichts der dortigen Stimmenverhältnisse sehr unwahrscheinlich.  

Jubel und Kritik
PrEP hat die Gemüter schon immer erregt. Das zeigt sich jetzt erneut. Die Reaktionen reichen von Hurrageschrei über Sorgenfalten bis zu Verständnislosigkeit. Bereits die Studien wurden seinerzeit massiv kritisiert und teilweise sogar abgebrochen. Die damalige Kritik war zum Teil berechtigt, aber stark übertrieben – sie hat letztlich einfach die Forschung verzögert. Es war nicht einfach, Präventionsstudien mit antiretroviralen Medikamenten in Ländern durchzuführen, wo nicht alle HIV-Patienten Zugang zu einer Therapie haben. Wegen der hohen Zahl von Neuinfektionen in genau diesen Ländern meinten die Sponsoren aber sie hätten eine moralische Pflicht, Präventionsstudien durchzuführen. Auch darüber kann man sich streiten.  

Das ADAC beruft sich auf Daten, die seit dem 23. November 2010 öffentlich sind. Die damalige Eidgenössische Kommission für Aidsfragen EKAF hat sich gleichentags wie folgt vernehmen lassen:  

„Die Eidg. Kommission für AIDS Fragen (EKAF) hat am 24.11.10 die Studienresultate (Grant et al, NEJM 23.11.10, online) der ersten Publikation zur Wirksamkeit einer täglich eingenommen HIV-Zweierkombination (PrEP) zur Prävention der HIV-Infektion gemeinsam mit Experten der Fachkommission Klinik und Therapie HIV/AIDS diskutiert und gewürdigt.  

Die Kommissionen kommen zum Schluss, dass die mässige Wirksamkeit der hier untersuchten Dauerbehandlung zur PrEP keine Änderung der Präventionsstrategie notwendig macht. Die Nebenwirkungen, der hohe Preis und das Risiko der Entstehung von resistenten HIV-Stämmen stehen in keinem Verhältnis zum mässigen Nutzen der Behandlung.“  

Die Therapietreue macht den Unterschied
Seit November 2010 ist aber in der HIV-Präventionsforschung einiges passiert, und die vielen zum Teil widersprüchlichen Erkenntnisse sind mit ein Grund für die erneuten Diskussionen. Verschiedene PrEP Studien haben in den letzten 18 Monaten widersprüchliche Daten publiziert – iPREX, FEM-PrEP, Partners PrEP und TDF2 zeigten eine Wirksamkeit von 0 (FEM-PrEP) bis 83% (für Männer in Partners PrEP). Nachfolgende Analysen zeigten, dass diese Resultate durch unterschiedliche Adhärenz bedingt sind. In der iPREX Studien war die Wirksamkeit von PrEP 92% bei jenen Studienteilnehmern, welche nachweisbare Medikamentenspiegel im Blut hatten. Damit ist klar, dass die Adhärenz für die Wirksamkeit von PrEP eine ganz entscheidende Rolle spielt. Aber eigentlich ist das ja eine Binsenwahrheit. Wo Pillen nicht genommen werden, können sie nicht wirken...

Das liebe Geld
Man macht sich auch Sorgen wegen der Kosten. Die Monatspackung Truvada kostet in der Schweiz Fr. 1'029.90. Wer kann sich das leisten? Was meinen die Krankenkassen, das zuständige Bundesamt? Man wird sich auch in der Schweiz mit dieser Frage noch befassen müssen. Eine HIV-Infektion verursacht Kosten von ca. einer Million Franken. Wenn eine Person eine wilde Phase von zwei, drei Jahren hat und sich nicht auf Kondome verlassen kann, könnte sich die Investition wohl lohnen. In den Entwicklungsländern sieht die Rechnung anders aus – es würden deutlich billigere generische Versionen eingesetzt.

Bis jetzt wurde die Wirkung von PrEP nur in Studien mit täglicher Dosierung untersucht. IPERGAY in Frankreich untersucht die Wirkung von Truvada wenn das Medikament bloss vor und nach dem Sex eingenommen wird. Falls diese Strategie funktioniert, reduzieren sich die Kosten deutlich. Allerdings sei hier gleich bemerkt, dass es auch bei einem solchen sogenannt intermittierenden Einsatz mit der Adhärenz nicht einfach wird.

Gibt es Alternativen?
Von grossem Interesse wäre auch die Verwendung anderer Substanzen. Truvada ist eines der meistverwendeten Medikamente in der HIV-Therapie. Truvada hat bekannte Nebenwirkungen im Dauergebrauch, und die Gefahr von Resistenzbildungen ist auch nicht zu unterschätzen. Sehr gerne wüsste man, ob sich besser verträgliche Substanzen bei intermittierender Abgabe bewähren würden – offensichtliche Kandidaten sind CCR5-Inhibitoren wie Maraviroc oder Integraseinhibitoren wie Raltegravir. Raltegravir könnte unter Umständen auch als Pille danach wirken. Viele gute Argumente und intensives Lobbying haben aber bisher nichts gefruchtet.

Voläufiges Fazit
Halten wir also fest:

  • Das FDA wird Truvada als PrEP für bestimmte Risikogruppen sehr wahrscheinlich zulassen.  
  • Die europäischen Behörden beschäftigen sich mit dem Thema, aber eine rasche Zulassung - und insbesondere: eine Kostenübernahme durch europäische Gesundheitssysteme - ist vorderhand nicht zu erwarten.  
  • Intermittierende PrEP Studien müssen gemacht werden, und es ist zu hoffen, dass IPERGAY nach einer Vorbereitungsphase auch in die Schweiz kommt.  
  • Es ist nicht damit zu rechnen, dass die Partybuben unter den Schweizer MSM ab morgen Truvada mit Viagra kombiniert einwerfen.  
  • Man wird sich in der Schweiz erneut ohne Scheuklappen mit dem Thema PrEP befassen müssen.  

Frau Kessler hat zum offenen Brief, den der Positivrat zusammen mit neun weiteren Organisationen lanciert hat, Stellung genommen. Wir publizieren den Brief. Sie hält darin fest: Drogenabhängige sollen als Patienten zweiter Klasse behandelt werden. Obwohl es keinen Grund gibt, Drogenabhängigen HCV-Medikamente vorzuenthalten! Diese leidige Diskussion mussten wir schon bei HIV führen. Ist das wirklich die offizielle Haltung der SPO? Es braucht eine offizielle Stellungnahme der Stiftung, unabhängig von der Person Kessler!

Wir bleiben dabei: Die Diskussion rund um die Medikamentenkosten und die Rationierungsfrage ist wichtig. Aber nicht so, wie Frau Kessler die Diskussion lancieren will: Eine Haltung, die sich auf die Schuldfrage abstützt und ganze Patientengruppen diskriminiert, ist nicht zu Ende gedacht und unhaltbar. Als Patientenschützerin sollte sie solche Äusserungen dringend unterlassen.

Inakzeptabel an der aktuellen Diskussion ist, dass schlussendlich die Patienten darunter leiden. Die neuen hochwirksamen Medikamente sind eine grosse Chance für Patienten, die bisher äusserst nebenwirkungsreiche Behandlungen mit eingeschränkten Erfolgsaussichten über sich ergehen lassen mussten. Jetzt wäre es an der Zeit koordiniert zu handeln: die Schweiz braucht eine Hepatitis-C-Strategie, damit alle Akteure darauf hinarbeiten können, dass die schätzungsweise 70 bis 90’000 Infizierten in der Schweiz von ihrer Infektion wissen und - falls nötig, denn nicht alle brauchen sofort eine Therapie - behandelt und geheilt werden können.

Rationierung.pdf

Offener Brief an Margrit Kessler

Nicht verpassen: Der letzte Chat Event in diesem Jahr findet morgen Dienstag, den 2. Dezember 2014 statt mit Angela Lagler von der hiv-aidsseelsorge Zürich und Steff von queerhelp zum Thema «Disclosure – Wem erzähle ich von meiner Infektion?». Log dich ein um 20 Uhr. Wir freuen uns auf spannende Diskussionen!

www.house34.ch

Ihr Interview vom 8. August 2014 im 20 Minuten online, «Lohnen sich teure Medis bei Todkranken?»

Sehr geehrte Frau Kessler

Ihr Interview zu den Medikamentenpreisen in 20 Minuten online können wir nicht unkommentiert lassen. Sie kritisieren hohe Medikamentenpreise und setzen sich für ein günstigeres Gesundheitssystem ein. Das ist richtig und wir gehen mit Ihnen einig.

Doch Ihre Äusserungen zur Kostenübernahme nur für diejenigen Patienten, die die Krankheit nicht selbst verschuldet haben, sind erschreckend. Sie erwähnen das Beispiel der Drogenabhängigen, die sich mit Hepatitis-C über den Drogengebrauch anstecken.

Zuerst einmal: Sucht ist eine Krankheit. Süchtige sind also Patienten und sollten dementsprechend behandelt und auch von Ihnen geschützt werden. Ihnen die Verantwortung für Folgeschäden ihrer Krankheit zuzuschreiben, zeugt von einer grossen Unkenntnis.

Sie stellen das Solidaritätsprinzip im Schweizer Gesundheitswesen in Frage und somit die Kostenübernahme von Behandlungen an zigtausend Patientinnen und Patienten in der Schweiz. Wenn wir, wie Sie vorschlagen, das Verursacherprinzip einführen, was ist dann mit dem krebskranken Raucher? Wird er behandelt oder nicht? Was mit dem Übergewichtigen, der an Diabetes erkrankt? Was mit dem Hauswart, der die Leiter unvorsichtigerweise auf einen Tisch stellt und sich beim Sturz das Bein bricht? Mit dieser Argumentation öffnen Sie die Büchse der Pandora.

Das Solidaritätsprinzip ist eine Stärke des Schweizer Gesundheitswesens. Wenn es nun in Frage gestellt wird, gefährdet dies die Gesundheitsversorgung von vielen chronisch kranken Menschen in unserem Land.

Wir erwarten etwas anderes von einer bekannten Schweizer Patientenschützerin als mit dem Finger auf die Schwächsten zu zeigen und ihnen die Solidarität aufzukündigen. Wir erwarten, dass sie sich für alle Patienten einsetzt – ohne moralische Werturteile.

Wir sind schwer enttäuscht und finden, dass Sie Ihre Haltung als Patientenschützerin überdenken müssen. Eine Stellungnahme von Seiten der Stiftung Patientenschutz ist dringend nötig.

Mit freundlichen Grüssen

Stephanie Alder, Marketing & Projekte, Schweizerische Diabetes-Gesellschaft
Dr. Philip Bruggmann, Chefarzt ARUD Zentren für Suchtmedizin, Zürich
Doris Fiala, Nationalrätin, Präsidentin Aids-Hilfe Schweiz
Dr. Heinrich von Grünigen, Präsident Schweizerische Adipositas-Stiftung
Prof. Dr. Huldrych Günthard, Präsident Schweizerische HIV-Kohorte
Prof. Dr. Bernard Hirschel, Schweizerische Gesellschaft für Infektiologie
Bettina Maeschli, Vorsitzende Positivrat Schweiz
Dr. Claude Scheidegger, Präsident SAMMSU (Swiss Association for the Medical Management in Substance Users)
Daniel Seiler, Geschäftsführer Aids-Hilfe Schweiz
Prof. Dr. Pietro Vernazza, Präsident Eidg. Kommission für sexuelle Gesundheit EKSG

Stellungnahme Margrit Kessler