Aktuell

Die Europäische Patientenakademie zu therapeutischen Innovationen (EUPATI 1) hat sich zum Ziel gesetzt, Ausbildungsmaterial zu entwickeln, welches Patienten und deren Organisationen wissenschaftlich fundiert, objektiv und in verständlicher Form über Forschung und Entwicklung in der Pharmazie informiert. Patienten sollen befähigt werden, ihre Rolle als Fürsprecher und Berater wahrzunehmen, und dies sowohl gegenüber ihrem Arzt, aber auch bei einer Beteiligung an klinischen Studien und schliesslich auch gegenüber Zulassungsbehörden und Ethik-Kommissionen.

Das Ziel des auf fünf Jahre angelegten EUPATI Projekts ist eine wegweisende, hoch qualifizierte und objektive Ausbildung von Patienten auf dem Gebiet therapeutischer Innovationen. Sie soll Patienten zur Mitwirkung und zur Mitsprache befähigen bei Themen wie Entwicklung und Erprobung neuer Medikamente, bei der Arzneimittelsicherheit sowie beim Zugang zu Therapien. Patienten als Laien im Gesundheitssystem sowie schwer erreichbare Patientengruppen sollen besser informiert werden, indem das öffentliche Bewusstsein für die Entwicklung neuer Therapien gefördert wird. Ziel ist, dass Patient, Arzt, Pflegepersonal aber auch die Forscher bei klinischen Studien auf Augenhöhe miteinander kommunizieren und dass die medizinische Behandlung zu einem gemeinsamen Projekt wird. Für mündige Patienten wird so eine medizinische Behandlung oder auch der Einbezug in einen klinischen Versuch eine Zusammenarbeit zwischen gleichwertigen Partnern, mit vollem Informations- und Mitspracherecht. Hierzu gehören insbesondere Patientenrechte bei klinischen Versuchen, aber auch der informed consent 2 bei Test und Behandlung.

 

Notwendigkeit auch in der Schweiz erkannt

Diese Anliegen sind mittlerweile auch bei uns ein Thema. Gleich drei Postulate [Kessler (12.3100), Gilli (12.3124) und Steiert (12.3207) 3] befassen sich auf parlamentarischer Ebene damit:

«In struktureller Hinsicht existiert keine Dachorganisation, die repräsentativ und aufgrund ihrer Ressourcenausstattung die verschiedenen Patienteninteressen bündeln und diese stellvertretend für die diversen Patientenorganisationen in gesundheitspolitischen Prozessen einbringen kann. Erschwerend kommt hinzu, dass die einzelnen Organisationen aufgrund der knappen personellen und finanziellen Mittel oft nicht in der Lage sind, sich in die vielfältigen gesundheitspolitischen Themen vertieft einzuarbeiten und dementsprechend auf Bundes- und Kantonsebene zu den zahlreichen Vorlagen Stellung oder in allen relevanten Gremien Einsitz zu nehmen.»

In der Tat gibt es in der Schweiz viele Patientenorganisationen. Leider sind sie wenig vernetzt und meist auf bestimmte Krankheiten fokussiert. Wegen knapper Ressourcen können sie nur sehr beschränkt agieren bzw. öffentlich in Erscheinung treten. Ein nationales Netzwerk wie es EUPATI sein möchte, könnte diese besser miteinander verbinden und stärken und ihnen ein einheitlicheres Auftreten gegenüber Behörden, der pharmazeutischen Industrie und der Öffentlichkeit ermöglichen. EUPATI möchte den Patienten helfen, sich gezielter zu bilden und zu effizienten Beratern in der medizinischen Forschung zu werden. Dazu hat EUPATI umfassendes Unterrichtsmaterial entwickelt in der Form einer internetbasierten Toolbox, einer Online-Bibliothek und eines Experten-Ausbildungsprogramms. In einigen europäischen Ländern kümmern sich solche nationale Plattformen bereits jetzt erfolgreich um die Verbreitung und Nutzung dieser Unterrichtsmittel.

 

Gründung der Schweizer EUPATI-Plattform

Seit zwei Jahren arbeitet in der Schweiz ein „National Liaison Team“ als Ad-Hoc-Arbeitsgruppe an der Planung einer Schweizer EUPATI-Plattform. Der offizielle Gründunganlass der Schweizer EUPATI-Plattform fand nun am 3. Februar 2016 im Berner Hotel Ador statt. Rund 100 Personen von Patientenorganisationen, aber auch aus der Forschung, der pharmazeutischen Industrie und von Behörden haben teilgenommen. Die SCTO hat durch ihre professionelle (sowohl personelle wie materielle) Unterstützung von Anfang an ganz wesentlich zum Aufbau der nationalen Organisation und zum Erfolg dieses Gründungsevents beigetragen. Auch die aktive Unterstützung durch das Schweizerische Heilmittelinstitut SWISSMEDIC war sehr willkommen.

Ziele von EUPATI Schweiz ist das Bekanntmachen des EUPATI Projektes und seiner Vorteile als nationales Netzwerk, das Verbreiten der EUPATI Weiterbildungsmaterialien, dann aber auch die Unterstützung von Patienten und der Öffentlichkeit beim Engagement von EUPATI Aktivitäten sowie das Stimulieren der nationalen Debatte über die Patienteneinbindung in der Arzneimittel-Forschung und -Entwicklung. Damit hofft EUPATI Schweiz sich als nachhaltiger Partner sowie auch als Gesprächspartner bei der Entwicklung von relevanten Gesundheits-Themen in Politik und Praxis zu etablieren, durch Entwickeln von Konzepten für eine gemeinsame Kommunikation und durch die Planung von Weiterbildung und Events. Dabei sollen auch die sozialen Netzwerke genutzt werden.

Das BAG, am Eröffnungsanlass vertreten durch die Vizedirektorin Dr. Andrea Arz de Falco, Leiterin des Direktionsbereiches Öffentliche Gesundheit, unterstützte in ihrer Ansprache dieses Anliegen:

«Zunehmend wurde jedoch in Auseinandersetzung mit den etablierten Playern im Gesundheitswesen erkannt, dass es unbedingt der Professionalisierung bedarf, wenn Patientinnen und Patienten sich bei ihnen Gehör verschaffen wollen. Eine der neueren Initiativen auf diesem Feld, und damit komme ich zum heutigen Anlass, ist deshalb EUPATI, European Patients' Academy on Therapeutic Innovation. Hier liegt der Fokus im Rahmen der allgemeinen Thematik des Patient Empowerment bei der Forschung, insbesondere der Entwicklung von Medikamenten. Das Ziel der Initiative ist, den Patientinnen und Patienten:

«wissenschaftlich fundierte, objektive und verständliche Informationen über Forschung und Entwicklung von Arzneimitteln zukommen [zu] lassen. Sie wird die Patienten zunehmend befähigen, als gut informierte Fürsprecher und Berater aufzutreten, z. B. in klinischen Studien, gegenüber Zulassungsbehörden und Ethik-Kommissionen. (Zitat aus der EUPATI-Webseite).»

 

Was sind die Ziele der Schweizer Plattform?

EUPATI möchte ein Netzwerk aufbauen, das Patientenorganisationen besser miteinander verbindet und stärkt und ihnen damit ein gemeinsames und wirkungsvolleres Auftreten gegenüber Behörden, der pharmazeutischen Industrie und der Öffentlichkeit ermöglicht. Beim Bund und insbesondere beim BAG, renne man – wie Frau Arz de Falco ausführte – damit offene Türen ein. Die Stärkung der Versicherten sowie der Patientinnen und Patienten sei eines der grossen Ziele innerhalb von «Gesundheit 2020», der umfassenden Strategie des Bundes für das Gesundheitswesen. Diese umfasst die folgenden Massnahmen:

  • Stärkere Berücksichtigung der Versicherten und Patienten/-innen in gesundheitspolitischen Prozessen;
  • Stärkung der Gesundheitskompetenz und der Selbstverantwortung;
  • Stärkere Berücksichtigung der Rechte von Patientinnen und Patienten.

Patientinnen und Patienten seien – wie Frau Arz de Falco ausführte – oft nur unzureichend über ihren Gesundheitszustand und über Behandlungsmöglichkeiten informiert und hätten praktisch keinen Einfluss auf die Entwicklung von verbesserten Arzneimitteln und Therapien. Hier könne EUPATI einen wesentlichen Beitrag leisten.

 

Wie geht es nun konkret weiter?

Wie sollen diese Ziele erreicht werden? Vorerst geht es um den Aufbau des nationalen EUPATI-Netzwerkes unter Berücksichtigung der lokalen Bedürfnisse und Sprachen, mit Einbezug der Interessengruppen und Institutionen. Die Schweizer EUPATI-Plattform möchte Ansprechpartner sein für die verschiedenen Akteure (Forschung & Entwicklung, Behörden und Ethikkommissionen) und regelmässig entsprechende Events und Workshops durchführen, um Informationen über aktuelle Themen von nationalem Interesse zu verbreiten und den Patienten-Einbezug wie auch den Dialog mit wichtigen Playern wie Ethik-Komitees, Behörden, Sponsoren und Forschung (sowohl die akademische wie auch die pharmazeutische) zu fördern. Dabei sollen auch die Debatte über die Patentenbeteiligung und –Rechte angestossen und Partnerschaften bei Forschung und Entwicklung von Medikamenten stimuliert werden.

Konkret heisst dies, dass vorerst aus der kleinen Ad-Hoc-Projektgruppe ein Verein nach Schweizer Vereinsrecht aufzubauen ist mit Statuten, Vorstand, Sekretariat, Mitgliedern, regelmässigen Sitzungen, jährlicher GV, einer Webseite, etc. Im Vorstand sollen nebst Patientenvertretern auch Vertreter von Behörden, Forschung und der pharmazeutischen Industrie mitarbeiten. Sodann wird die eigentliche Arbeit darin bestehen, ein Netzwerk aufzubauen, Arbeitsprogramme auszuarbeiten, Ausbildungen, Workshops, Events, etc. zu organisieren und die längerfristige Finanzierung durch entsprechendes Sponsoring sicherzustellen.

 

Die Krux mit dem Sponsoring

Das letztgenannte Thema – Sponsoring und Fundraising – erfordert besondere Umsicht und Sorgfalt, geht es doch darum dass eine solche Patientenorganisation weiterhin unabhängig bleibt und jegliche Fremdbestimmung vermieden wird. Die Schweizer EUPATI-Plattform konnte zwar von einer Anschubfinanzierung für die ersten zwei Jahre von EUPATI-Europe profitieren, sollte aber nachher weitgehend finanziell selbständig werden. Die grosse Unterstützung von EUPATI-Europe bleibt jedoch weiterhin die Bereitstellung der Informationsmaterialien und die angebotene Schulung. Die Unterstützung nationaler Patientenorganisationen von Seiten der Behörden wird wohl eher eine moralische denn eine materielle bleiben. Aus Mitgliederbeiträgen, sofern solche in den Statuten überhaupt vorgesehen sind, lässt sich eine Organisation wie EUPATI Schweiz nicht finanzieren. Es bleiben somit als Sponsor vor allem die pharmazeutische Industrie, in einem beschränkten Ausmass auch die nationalen Akademien und eventuell (projektbezogen) weitere Akteure.

Es liegt auf der Hand, dass die pharmazeutische Industrie gewinnbringend arbeiten muss, um einerseits ihre Aktionäre zufriedenzustellen, um dem Kader ihre Löhne und Boni zu bezahlen und nicht zuletzt auch um die grossen Beträge, die sie in die Forschung steckt, wieder einzuholen. Dass diese Forschung viel Geld kostet – denn von den vielen Medikamenten, die am Anfang einer Erprobung stehen, werden am Schluss nur ganz wenige als Medikamente schliesslich auch zugelassen – liegt auf der Hand. Als Patienten sind wir einerseits dankbar, denn viele von uns würden ohne die grossen Vorschritte in der Pharmaforschung nicht überleben, die pharmazeutische Industrie «profitiert» also von unserem Überleben, denn wir sind – solange wir leben – deren wichtigste Kunden. Auf der andern Seite sind wir aber auch über die teilweise horrenden Preise für gewisse Medikamente schockiert und fragen uns, ob und wieweit diese gerechtfertigt sind.

Mittlerweile nimmt die pharmazeutische Industrie uns Patienten auch als Menschen wahr; im Gegensatz zu den Behörden, für die wir bisher nur Futter für ihre Statistiken sind. Dass dieses Interesse der pharmazeutischen Industrie an uns Patienten nicht nur menschenfreundliche Hintergründe hat, wissen wir auch. Auf der andern Seite ergibt sich aber hier die Möglichkeit einer Zusammenarbeit die beiden Seiten etwas bringt. Die Industrie kann ihre Produktion besser auf die Bedürfnisse des Marktes (sprich der Patienten) abstimmen und der Patient erhofft sich Verbesserungen bei der Behandlung und in Bezug auf seine Lebensqualität. Eine solche Zusammenarbeit bedingt aber auch, dass deren Spielregeln von Anfang klar festgelegt und auf die Bedürfnisse beider Seiten abgestimmt werden, und zwar so, dass die Patientenorganisationen ihre Unabhängigkeit bewahren können. Die Bedeutung dieses Aspektes war uns von Anfang an klar und wir sind am Überlegen, wie solche Zusammenarbeiten strukturiert werden sollten. Der Leser wird daher unsere Verärgerung verstehen, wenn gewisse Journalisten der Schweizer EUPATI-Plattform bereits nach der Gründung vorwerfen, von der Pharma-Industrie gesteuert zu sein, und dies nota bene bevor überhaupt erste offizielle Kontakte mit Pharmavertretern stattgefunden haben.

Hansruedi Völkle / April 2016

 

Links:
http://www.scto.ch/de/Veranstaltungen/Patient-Empowerment/EUPATI-CH-Gruendung-3-Februar-2016.html
http://www.srf.ch/gesundheit/gesundheitswesen/umstrittene-patientenschulung-wer-profitiert-von-eupati
https://www.eupati.eu/de/eupati-landesplattform-schweiz/


1 http://www.patientsacademy.eu/index.php/en/
2 https://depts.washington.edu/bioethx/topics/consent.html
3 https://www.google.ch/search?q=Postulat+Patienteneinbezug&ie=utf-8&oe=utf-8&gws_rd=cr&ei=PsXzVvzUIYPm6AT0oIToAg
4 SCTO = Die Swiss Clinical Trial Organisation ist die zentrale Kooperationsplattform für die patientenorientierte, klinische Forschung in der Schweiz. Die Trägerschaft umfasst die grossen Spitäler der Schweiz, die Dekane der medizinischen Fakultäten, sowie die SAMW. Adresse: Swiss Clinical Trial Organisation. Petersplatz 13, 4051 Basel: http://www.scto.ch/de/Aktuell.html

Das Migrationsprojekt des Positivrats hat im Bereich ART und Migration gemeinsam mit den involvierten Fachpersonen und Betroffenen Probleme beschrieben und Lösungsvorschläge dazu entwickelt. Durch Interviews wurden Probleme herauskristallisiert und im Rahmen von Roundtable-Gesprächen Lösungsvorschläge dazu erarbeitet.

Das Migrationsprojekt hat Probleme mit ART aus der Perspektive von medizinischen Fachpersonen der Schweizerischen HIV-Kohorte, aus derjenigen von Sozialberatenden der Aids-Hilfen und aus derjenigen von afrikanischen Patienten beschrieben. Diese unterschiedlichen Perspektiven werden auch in der Gewichtung der Probleme deutlich. Für medizinische Fachpersonen stehen Probleme rund um das sprachliche Verständnis und das Verstehen von ART generell im Vordergrund.

Alle Interviewten beschreiben die Probleme rund um die Angst vor Diskriminierung und Stigma klar als eines der Grundprobleme, das in verhängnisvoller Weise mit weiteren Problemen verknüpft ist, sie teilweise erschwert oder ihnen gar zugrunde liegt. Diese inneren Verknüpfungen zwischen Problemen erschwerten es, sie klar voneinander abzugrenzen: Miteinander zusammenhängende Probleme wurden zu den Problemkomplexen „Stigma und Diskriminierung“ und „ART verstehen“ zusammengefasst.

Für afrikanische Patienten und deren Sozialberatende stehen die Ängste des Problemkomplexes Stigma und Diskriminierung klar im Zentrum. So kann die grosse Angst, wegen HIV in der eigenen Community diskriminiert zu werden, für Betroffene dazu führen, dass sie – ausser mit ihrem Arzt - mit niemandem über ihre HIV-Infektion sprechen. Dafür bewährte Strategien wie Selbsthilfegruppen von Menschen mit HIV haben sich in den vergangenen Jahren nach und nach aufgelöst und schienen für Personen aus Afrika nicht von Interesse. Eine neue Initiative im Bereich Selbsthilfe ist PFS – Positive Frauen Schweiz – die sich in mehreren Regionen regelmässig als Frauengruppen treffen. Die Aids-Hilfe Bern beschreitet mit ihrem „peer-to-peer“ Projekt neue Wege, indem sie mit ART erfahrene Personen als sogenannte Peers einsetzt und mit Betroffenen aus Afrika zusammenbringt, die sich einen Gesprächspartner wünschen, um offen über HIV-Themen zu sprechen.

Im Problemkomplex „ART verstehen“ stellen die unterschiedlichen Gesundheitskonzepte von afrikanischen Patienten und von medizinischen Fachpersonen in der Schweiz ein Art Grundproblem dar. Medizinische Fachpersonen agieren im Sinne unserer westlichen Medizin, basierend auf einem biomedizinischen Gesundheitskonzept, das auch unseren Kenntnissen zu HIV und zu ART zugrunde liegt. Afrikanische Patienten hingegen orientieren sich an Konzepten aus ihrem Kulturkreis wie dem Konzept der Vorfahren oder traditionellen Heilmethoden. Solch unterschiedliche Gesundheitskonzepte können dazu führen, dass afrikanische Patienten das Konzept von ART nicht wirklich verstehen oder erst gar nicht damit beginnen wollen. Ein Arzt beschreibt das Problem mit den Worten: „Sie verstehen die Bedeutung von Nicht-Adhärenz nicht.“ Besonders schwierig wird es für medizinische Fachpersonen, wenn eine schwangere Patientin mit ART beginnen sollte und dies verweigert. Ein Problem, das uns in der Schweiz aus den 90er Jahren sehr wohl bekannt ist. Es gab und gibt Schweizer Patienten, die ART grundsätzlich ablehnen – aus welchen Gründen auch immer. Einige der interviewten Fachpersonen stellten klar, dass Probleme mit ART sich nicht auf Patienten aus Afrika reduzieren lassen und grundsätzlich bei allen HIV-Patienten vorkommen können.

Stigma und Diskriminierung wegen HIV ist ein Dauerbrenner, mit dem wir uns seit mehr als 30 Jahren aktiv auseinandersetzen – trotzdem ist es bisher nicht gelungen, sie zu beseitigen. Es wäre eine Illusion, zu erwarten, das Migrationsprojekt könne dieses Grundproblem im HIV-Bereich lösen. Die Projektleiterin versuchte jedoch, diese Probleme weiter zu differenzieren und zu konkretisieren, in der Hoffnung, dadurch Möglichkeiten für Lösungsvorschläge zu eröffnen. Zum Beispiel die Angst um den Aufenthaltsstatus: Asylsuchende Patienten befürchten, dass eine HIV-Diagnose ihre Aussicht auf Asyl oder einen vorübergehenden Aufenthaltsstatus zerstören könnte. Medizinische Fachpersonen berichten, dass sie immer wieder Asylsuchenden zu erklären versuchen, dass gesundheitliche Informationen rund um HIV nicht automatisch in das Asylverfahren weitergeleitet werden. Und fordern mit einem Lösungsvorschlag, dass offiziell dafür zuständige Stellen des BAG bzw. des Amts für Migration diese Informationen für Asylsuchende gut verständlich kommunizieren.

Immer wieder erfahren Sozialberatende von Asylsuchenden, dass in Asylzentren die dringend notwendige Diskrektion in Bezug auf ihren HIV-Status oder ihre HIV-Medikamente nicht gewahrt werden kann. Daraus schliesst die Projektleiterin, dass Betreuungspersonen im Asylbereich sich nicht genügend bewusst sind, welche Konsequenzen ein sorgloser Umgang mit solchen Gesundheitsinformationen für HIV-positive Asylsuchende haben kann: nämlich dass sie diskriminiert werden. Dieses Problem beschreibt das Migrationsprojekt als Angst vor Diskriminierung wegen ARV. Es könnte aus Sicht von Sozialberatenden und Betroffenen auch konkreter formuliert werden: Betreuungspersonen halten ihre berufliche Schweigepflicht nicht ein. Dies kann beispielsweise durch eine für nicht Eingeweihte leicht hörbare Aussage wie „Sie haben heute ihre HIV-Medikamente nicht geholt!“ geschehen. Als Lösungsvorschlag auf dieses Problem hat der Positivrat eine „Erklärung zur beruflichen Schweigepflicht“ erarbeitet. Die Idee davon ist, die Aufmerksamkeit von im Asylwesen tätigen Betreuungspersonen auf die Bedeutung der Diskretion rund um HIV zu richten und sie mit ihrer Unterschrift verbindlicher dazu zu verpflichten.

Soweit die Idee – es fehlt einzig an der Umsetzung. Das Migrationsprojekt hat lediglich Probleme aufgezeigt und Lösungsvorschläge erarbeitet. Deren Umsetzung muss in unserem föderalistisch organisierten Gesundheits- und Sozialwesen in den jeweiligen Kantonen geplant und durchgeführt werden. Eine Arbeitsgruppe des Positivrats will Ideen für Nachfolgeprojekte entwickeln, um die Lösungsvorschläge des Migrationsprojektes umzusetzen. Mehr Informationen zum Migrationsprojekt und der Abschlussbericht finden sich auf der Website des Positivrats: www.positivrat.ch

Romy Mathys / November 2015

Am 27. Juli - einen Tag vor dem Welt-Hepatitis-Tag – hat das Bundesamt für Gesundheit eine Erweiterung der Kostenübernahme durch die obligatorische Krankenpflegeversicherung für die Kombination von Viekirax und Exviera sowie von Olysio per 1. August 2015 öffentlich gemacht. Das ist ein Schritt in die richtige Richtung – doch noch lange profitieren nicht alle Patientinnen und Patienten davon.

Die Vergütungseinschränkung ist somit auf eine mittelschwere Lebervernarbung ausgedehnt worden. Parallel wurde der Preis dieser Kombinationstherapie von 20'651 auf 15'339 Franken pro Monat gesenkt. Damit erhalten nun, gemäss BAG, etwa 900 Personen zusätzlich Zugang zu den heilenden Medikamenten. Positivrat-Vorsitzender Dominik Bachmann bewertet die aktuelle Entwicklung jedoch kritisch: „Die Erweiterung des Patientenkreises ist erfreulich, aber noch nicht genügend. Ich verlange eine Therapie für alle Patienten.“

Die Hersteller der von den Preissenkungen betroffenen Medikamente hatten sich mit dem BAG geeinigt. Das BAG ist somit den Empfehlungen der Fachleute gefolgt.

Doch die Forderungen der Petition von Aktivisten „Behandlung für alle“ sind noch nicht erreicht. So wurde die Limitierung der Arzneimittel des Branchenleaders Gilead nicht erweitert, da sich das Pharmaunternehmen mit dem BAG nicht einig wurde. „Dieser Zustand ist unhaltbar“, kommentiert Dominik Bachmann die Verweigerungshaltung des Unternehmens.

Zudem hapert es auch bei der Zulassung neuer Medikamente durch Swissmedic: Das langwierige Zulassungsverfahren, das oft veraltete Daten berücksichtigt, verhindert die Behandlung von Patienten gemäss internationalen Richtlinien. Auch hier bleibt noch viel zu tun.

Der Preiskrieg von BAG und Gilead darf nicht auf dem Buckel der Patienten ausgetragen werden. Der Positivrat fordert die Akteure auf, eine rasche Lösung zum Wohle der Patienten zu finden. Das Bundesamt für Gesundheit hat eine allfällige nächste Vergütungserweiterung für September angekündigt.

Quellen:
http://www.bag.admin.ch/dokumentation/medieninformationen/01217/index.html?lang=de&msg-id=58174
http://www.nzz.ch/schweiz/mehr-hepatitis-patienten-kriegen-therapie-1.18586382

Mit Sovaldi erhält nun ein nächstes Hepatitis-C-Medikament die Vergütung schon ab einer mittelschweren Lebervernarbung, sprich dem Fibrosestadium 2. Letzte Woche wurde bekannt, dass Harvoni die Ausweitung per 1. September erhält. Für beide Medikamente hat der Hersteller die Preise um fast 25 Prozent gesenkt: Eine Monatspackung Sovaldi kostet neu 16‘102.50, der Preis für Harvoni liegt neu bei 16‘748.30.

Damit hat sich einiges bewegt. Viele Patienten auf der Wartebank dürfen aufatmen. Doch am Ziel sind wir nicht.

Nach wie vor können die Behandlungsrichtlinien der europäischen Fachgesellschaften EASL und EACS nicht umgesetzt werden. Trotz Fortschritt ist damit die HCV-Therapie in der Schweiz suboptimal. Zudem wünschen wir uns eine umfassende HCV-Strategie für die Schweiz. Angesichts der grossen Zahl von Betroffenen und nicht einmal diagnostizierten Patienten sowie der nach wie vor kostspieligen Therapie eigentlich eine Selbstverständlichkeit.

Depressionen bei Menschen mit HIV kommen häufig vor. Sie können erfolgreich behandelt werden. Die Betroffenen selbst sind allerdings nicht immer in der Lage, die Symptome richtig zu deuten und selbst Hilfe zu suchen. Wichtig ist daher, dass deren Umfeld in der Familie aber auch Arzt und Pflegepersonal Anzeichen einer psychischen Erkrankung erkennen und zusammen mit den Betroffenen Massnahmen für eine entsprechende Therapie aufzeigen.

Depression ist eine psychische Krankheit, die sich in zahlreichen Beschwerden äussern kann und unter der viele Menschen leiden. Dabei können sowohl körperliche als auch genetische mit psychischen und psychosozialen Auslösern in Wechselwirkung treten und sich gegenseitig verstärken. Rund eine von fünf Personen ist in ihrem Leben mindestens einmal von einer Depression betroffen. Als erschwerender Umstand kommt hinzu, dass diese Krankheit immer noch stark tabuisiert ist und vor allem Männer ungern zugeben, dass sie darunter leiden. Es erscheint ihnen unmännlich, einzugestehen, dass sie hier etwas nicht unter Kontrolle haben und fremde Hilfe benötigen. Ein Mann zeigt seine Gefühle nicht, er weint nicht, er will kein Versager sein. Obwohl diese Krankheit bei Frauen häufiger diagnostiziert wird als bei Männern, sind durch Depressionen ausgelöste Selbstmorde bei Männern dreimal häufiger als bei Frauen.

Depressionen bei Menschen mit HIV

Bei Menschen mit HIV kommen Depressionen überdurchschnittlich häufig vor und solche Erkrankungen sind die am meisten auftretenden psychischen Störungen bei diesen Patienten. Eine chronische Krankheit wie eine HIV-Infektion, die eine lebenslange medikamentöse Behandlung und eine permanente medizinische Betreuung erfordert, ist eine grosse psychische Belastung. Die Diagnose einer HIV-Infektion ist für die Betroffenen eine unerwartete Zäsur im Leben verbunden mit einer existentiellen Bedrohung. Man befindet sich plötzlich allein auf einer Eisscholle, die sich vom Packeis gelöst hat und abdriftet. Früher oder später wird das Eis schmelzen, und was dann? Zwar gibt es heute mit den Kombinationstherapien sehr wirksame Medikamente. Sie bekämpfen zwar das Virus, können es aber noch nicht eliminieren. Man sitzt also bildlich gesprochen in einem Boot, das ein Leck hat. Die HIV-Therapie ist ein Schöpfeimer. Solange man kontinuierlich Wasser schöpft, bleibt das Boot über Wasser. Hört man mit dem Schöpfen auf, läuft das Boot voll und es beginnt zu sinken. Zu dieser beständigen Bedrohung kommen Schuldgefühle, man fragt sich, «Warum gerade ich?» oder «Macht das alles überhaupt noch Sinn?». Möglicherweise beginnt man auch, sich und seinen Körper zu hassen und empfindet die Infektion als eine Art von Bestrafung. Als Folge davon vernachlässigt man die Gesundheit und das eigene Wohlbefinden.

Mit der erfolgreichen antiretroviralen Therapie wird die HIV-Infektion zu einer «gewöhnlichen» - zwar chronischen - Krankheit, mit der man «leben kann». Dies ergibt neue Herausforderungen, was die persönliche Lebensgestaltung betrifft und insbesondere auch den erneuten Einbezug der Betroffenen in die heutige Leistungsgesellschaft. Diese erwartet von jedem einzelnen ein effizientes und selbständiges Krankheitsmanagement. Der beständige Kampf verbraucht aber viel Energie und ermüdet auf die Dauer. Dies wird noch erschwert, wenn die Betroffenen ihren HIV-Status in ihrer Familie bzw. in ihrem beruflichen Umfeld, aus Furcht vor Diskriminierung, nicht offenlegen wollen oder können. Hinzu kommen das gesellschaftliche Stigma, der mit der HIV-Infektion beschleunigte Alterungsprozess sowie äusserlich sichtbare Langzeitfolgen der HIV-Therapie. Der Erwartungsdruck, dass man mit seiner Krankheit allein zurecht kommen muss und der damit verbundene permanente Stress, aber auch die Sorge, wie es längerfristig weitergeht, können Depressionen und Suizidgedanken auslösen. Das wiederum kann sich nachteilig auf die HIV-Therapie auswirken, indem es beispielsweise die Therapietreue (Adhärenz) beeinträchtigt oder die Risikobereitschaft für sexuell übertragbare Krankheiten oder beim Drogenmissbrauch erhöht. Bei etwa einem Drittel der HIV-Patienten treten im Verlauf des Lebens depressive Symptome auf. Das Mitgefühl, das Nicht-Betroffene vor langer Zeit den damals «todgeweihten» HIV-Infizierten entgegenbrachten, ist nicht mehr da. Man erwartet jetzt von ihnen, dass sie sich wieder voll in die Leistungsgesellschaft integrieren. Also: Fun – fit – flexibel und mobil, und das sowohl beim Job als auch in der Freizeit.

Auf der andern Seite kann aber auch das HI-Virus die Gesundheit beeinträchtigen, direkt oder indirekt über die so genannten opportunistischen Infektionen. Folgen können u.a. Veränderungen im Stoffwechsel sein oder auch Auswirkungen im Gehirn und als Folge u.a. demenzielle Symptome, Angstzustände und eben Depressionen auslösen. Fehl- oder Mangel-Ernährung können das ihre dazu beitragen. Nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch Nebenwirkungen der HIV-Medikamente selbst solche oder ähnliche Wirkungen haben, sowohl im affektiven als auch im somatischen Bereich. Die regelmässige medizinische Betreuung der Patienten ist daher sehr wichtig, sodass gegebenenfalls rechtzeitig ein Therapiewechsel vorgenommen werden kann.

Erkennung von Depressionen

Die Symptome einer Depression sind vielfältig: Man fühlt sich schlapp, antriebslos, schwach, energielos, erschöpft, hilflos und ohnmächtig. Die Gedanken sind erfüllt von Trauer und Hoffnungslosigkeit, drehen sich um das eigene Schicksal, um Vergangenheit und eine aussichtslose Zukunft. Man fühlt sich leer und emotionslos, hat grundlos Angst und Minderwertigkeitsgefühle. Es können auch Konzentrationsstörungen, verminderter Appetit sowie Schlafstörungen auftreten. Kurze, depressive Phasen können zwar in jedem Leben vorkommen; wenn sie allerdings zu einem Dauerzustand werden, also über Wochen andauern, spricht man von einer Depression und eine Behandlung ist angezeigt. Viele Betroffene selbst oder auch deren Umfeld wie Familie und Freunde merken oft nicht oder zu spät, dass etwas mit ihnen nicht mehr stimmt. Sie nehmen deshalb keine oder viel zu spät eine medizinische oder psychologische Betreuung in Anspruch. Wichtig erscheint somit, dass Vertrauenspersonen im familiären und beruflichen Umfeld, vor allem aber Ärzte und Pflegepersonal das nötige Gespür entwickeln um solche Symptome rechtzeitig zu erkennen und zu deuten, damit im Gespräch mit dem Betroffenen die geeignete Therapie gefunden werden kann.

Was kann man dagegen tun?

Zur Therapie werden Psychopharmaka (Antidepressiva, etc.) und andere Medikamente eingesetzt. Dabei ist vorgängig deren Verträglichkeit oder Wechselwirkung mit den HIV-Medikamenten zu klären. Beispielsweise kann das häufig bei Depressionen eingesetzte Johanniskraut (Hypericum perforatum) die Wirksamkeit gewisser HIV-Medikamente vermindern und ist daher bei HIV-Patienten, wenn überhaupt, nur mit Vorbehalt einzusetzen. Eine begleitende, psychologische Betreuung ist zu empfehlen.

Nebst einer Therapie mit Psychopharmaka oder einer Psychotherapie gibt es bei milderen Formen einer Depression auch einige praktische Empfehlungen, die einfach umzusetzen sind: Beispielsweise regelmässige (d.h. etwa 2 Stunden pro Woche) Bewegung, etwa Gartenarbeit, aber auch Spaziergänge, Schwimmen, Walking, Jogging, Fahrradfahren und weitere. Hinzu kommt, dass man dabei auch «Licht tankt», was die Stimmung aufheitert. Man sollte sich bemühen – und hier kann die Psychotherapie oder die Teilnahme an einer Selbsthilfegruppe nützlich sein – pessimistische, negative Gedanken zu überwinden und sich um eine positive Grundeinstellung zum eigenen Leben bemühen. Depressive Gedanken belegen nicht, dass die Situation in der man sich befindet, ausweglos ist, sondern dass man sie selbst zu negativ bewertet. Es gibt dazu auch Online-Trainings, wo man lernt, aus diesem negativen Gedankenkreis auszubrechen. Das kann beispielsweise damit beginnen, dass man sich jeden ein kleines Ziel vorgibt, und sich dann am Abend bei einer Tagesbilanz für das am Tag Erreichte «lobt». Dies stimuliert dazu, sich am nächsten Tag ein neues Ziel zu setzen. Erfolgserlebnisse sind das beste Mittel gegen Hilflosigkeit.